Das Raetsel der Liebe
erleiden müssen, die ihr eigener Geist ihr zugefügt hat. Ich will, dass mein Vater die Karriere hätte machen können, die ihm zugestanden hätte. Ich will, dass meine Schwester das normale, glückliche Leben leben kann, das ich nie kannte. Reicht das? Nein? Dann weiter. Ich will, dass meine Großmutter aufhört, Janes Zukunft in Stein zu meißeln. Ich will den Primzahlsatz von Legendre beweisen. Ich
will
irgendetwas
tun
. Ich –«
Alexander trat auf sie zu und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Er blickte sie direkt an, sah das Brennen des Schmerzes auf ihren Wangen und das Lodern des Zornes in ihren Augen. Wieder durchfuhr ihn Verlangen wie ein Blitz, mächtig genug, ihn seinen eigenen Eid brechen zu lassen. Und noch ehe sie wieder Luft holen konnte, neigte er den Kopf und küsste sie.
Ihr Körper bebte unter seinen Händen, ein hartes, gereiztes, wütendes Zittern. Doch sie entzog sich ihm nicht. Alexander presste die Lippen fester auf ihre. Hitze breitete sich in seiner Brust aus, als er versuchte, in ihren Mund einzudringen. Weich, weich, weich. Ihre Lippen waren so voll, so geschmeidig, bildeten solch einen Kontrast zu der Unbeugsamkeit ihres Körpers. Er ließ seine Zunge hervorschnellen und leckte über ihren Mundwinkel. Sie erschauerte, und obwohl ihre Schultern steif blieben, begannen ihre Lippen nachzugeben, sich zu öffnen.
Er nahm den Geschmack von Tee und Zucker wahr, den Geschmack von Lydia. Seine Hände packten ihre Schultern fester. Er zog sie näher an sich, so dass die Rundungen ihrer Brüste seinen Oberkörper berührten. Sie keuchte. Es war ein erstickter, kehliger Ton. Er löste in Alexander den unbezwingbaren Wunsch aus, herauszufinden, welche Laute sie machen würde, läge sie nackt und willig unter ihm.
Das Bild brannte sich in sein Bewusstsein ein. Er drängte sich gegen sie, legte die Hände auf ihre schlanke Taille und fühlte ihr unfassbar steifes Korsett. Er wollte es ihr vom Körper reißen, ihre nackte Haut auf seiner spüren, ihre Brüste umfassen, sie vor Lust stöhnen hören.
Heiß. Oh Gott, sie war so heiß. Er glaubte zu spüren, wie sich die Hitze ihrer Haut durch den Stoff des Kleides brannte. Und sie erwiderte den Kuss. Ihre Zunge glitt über seine Zähne, ihre Hände krallten sich in sein Hemd. Doch der Kuss war weder sanft noch verführerisch. Er war voller Zorn, Frustration und wilder Verbitterung.
Sie presste sich enger an ihn, löste eine Hand von seinem Hemd und ließ sie mit weit auseinandergespreizten Fingern hinunter auf seinen Bauch wandern. Ihre Handfläche liebkoste ihn, hitzig, fordernd. Ihre Fingernägel kratzten über seine Brust. Sie biss ihn in die Unterlippe. Ein leichter Schmerz durchfuhr ihn, was seine Erregung nur weiter steigerte.
Doch noch während sein Körper sich fast schmerzhaft nach ihr zu sehnen begann, mischte sich plötzlich ein Gefühl des Unbehagens in Alexanders immer stärker werdendes Begehren. Sein Gehirn war bereits zu vernebelt, um es vollständig zu erfassen, aber er spürte instinktiv, dass irgendetwas nicht stimmte.
Mit beinahe übermenschlicher Anstrengung hob er den Kopf und schob sie mit aller Kraft von sich weg. Ihre Augen schossen indigoblaue Blitze auf ihn ab, ihre geröteten Lippen teilten sich, und sie atmete hörbar ein.
»Nicht rücksichtslos genug für Sie?«, fragte sie, die Stimme zum Zerreißen angespannt.
»Miss –«
»Sie halten mich wohl für eine alte Jungfer?«, schnappte sie. »Ausgetrocknet wie ein Stück Leder. Unbenutzt, einsam. Sie denken –«
»Sagen Sie mir nicht, was ich denke.« Seine Stimme klang rau, heiser, enttäuscht. Er sah sie stumm an, die Hände verkrampft, außerstande, dieses Unbehagen abzuschütteln, diese dunkle Vorahnung, dieses Gefühl, in etwas weit Komplexeres verwickelt zu werden, als er jemals geahnt hatte.
»Sie glauben, ich sei für ein Leben in Einsamkeit bestimmt«, fuhr Lydia fort. »Mit Lehrbüchern und Gleichungen und Formeln als meine einzigen Begleiter. Ein kaltes, intellektuelles, nur vom Verstand beherrschtes Leben.«
»Ich –«
Lydia trat näher, und ein sichtbares Beben erschütterte ihren schlanken Körper. »Es wäre wohl das Beste, wenn Sie das einfach weiterhin glauben würden, Mylord.«
»Warum?«
»Weil es für uns beide viel zu gefährlich ist, etwas anderes zu glauben.«
Und bevor er reagieren oder etwas erwidern konnte, war sie fort. Mit einem harten Klicken fiel die Tür ins Schloss.
5
»Miss Jane! Sie müss’n aufhör’n, hier
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