Das Raetsel der Liebe
er. »Ich wusste, was auf mich zukommen würde, wenn ich nach London zurückginge. Ich wusste, womit ich konfrontiert werden würde. Ich hatte andere Pläne, und die wollte ich nicht aufgeben. Aber ich musste es tun.«
»Was waren das für Pläne?«
»Ich steckte mitten in den Vorbereitungen für eine ausgedehnte Russlandreise. Jahrelang hatte ich alles bis ins Detail geplant. Sibirien, der Ural, Wladiwostok. Ich machte Miss Turner meinen Antrag, bevor ich abreiste, und wir vereinbarten, dass die Hochzeit nach meiner Rückkehr stattfinden sollte.«
Bittere Enttäuschung über den vereitelten Traum kochte in ihm hoch. »Die Reise sollte der Ausweitung meiner geschäftlichen Beziehungen dienen.«
»Und Sie traten sie nicht an?«
»Ich konnte nicht. Der Skandal, die Scheidung … Ich musste zurückkommen und versuchen, den Schaden wiedergutzumachen.«
»Und Miss Turner?«
Alexander rieb sich den Nacken. Jeder Muskel in seinem Körper war jetzt bis zum Zerreißen angespannt.
»Was ist mit ihr?«
»Was wird geschehen, wenn Sie den guten Ruf Ihrer Familie wiederhergestellt haben? Wird Sie die Frage der Hochzeit Ihnen gegenüber noch einmal ansprechen?«
Alexander hätte beinahe gelacht, doch Lydia hatte schrecklich ernst geklungen. Er schüttelte den Kopf.
»Miss Turner hat vor ungefähr einem Jahr den Sohn eines Viscounts geheiratet. Inzwischen haben die beiden eine Tochter, und nach allem, was man hört, sind sie ziemlich zufrieden.«
Schärfe trat in Lydias Blick, und die dunklen Wolken der bangen Vorahnung lösten sich in klarem Blau auf. »War das eine Enttäuschung für Sie?«
»Himmel, nein.« Er mochte Miss Turner einst geliebt haben, doch jetzt erschien ihm seine Leidenschaft für diese Frau fehlgeleitet und belanglos. »Wäre mit meiner Familie alles beim Alten geblieben, dann hätten wir eine gute Ehe führen können. Aber so, wie sich die Dinge entwickelten … sie verfügte nicht über die nötige Konstitution, um den hässlichen Konsequenzen gewachsen zu sein.«
Er stieß sich von der Vitrine ab und kam auf Lydia zu, angezogen von dem Duft nach Frische und Reinheit, den nur sie allein verströmte. »Und die vergangenen vier Wochen haben mir bewusst gemacht, dass ich Lord Chilton zu allerhöchstem Dank verpflichtet bin, weil er verhindert hat, dass ich jetzt an seine Tochter gekettet bin.«
Er blieb direkt vor ihr stehen, hob die Hand und berührte die Haarlocke, die sich in ihrem Nacken ringelte. »Denn wenn dem so wäre«, fuhr er fort, »dann könnte ich das hier nicht tun.« Er wickelte die weiche Strähne um seinen Zeigefinger.
Lydia öffnete leicht den Mund, wie in Erwartung eines Kusses. Stattdessen fuhr er mit dem Daumen über ihre Lippen, die sich weich und auch ein wenig rau anfühlten.Ihr Atem streifte seine Hand, und er spürte ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut. Auf ihre Wangen trat ein tiefes Rosa.
Angesichts der Tatsache, dass sie hier von jedermann gesehen werden konnten, unterdrückte Alexander das überwältigende Verlangen, sie zu küssen, und trat einen Schritt zurück. Wäre sie seine Frau, gäbe es keine Grenzen, weder selbst gesetzte noch von außen aufgezwungene, die ihn hindern würden, sie zu berühren, mit Küssen zu bedecken, zu lie –
Nun, ganz so weit musste es ja nicht kommen.
»Wir sollten gehen«, flüsterte er heiser und räusperte sich. Er musste sich irgendwo erkältet haben. »Die Halle wird bald schließen.«
Liebe Jane,
Einsilber, richtig. Kluges Mädchen. Und hier ist das nächste Rätsel:
Mit einer Silb’ ist’s abgetan;
Was ist es? Flügel hat’s am Leib.
Mit einem a ist es ein Mann,
Mit einem u ist es ein Weib.
Ehrlich gesagt, ist damit mein Repertoire an Rätseln erschöpft. Ich werde mir also ab jetzt kompliziertere Aufgaben ausdenken, die eine echte Herausforderung für Dich sind. Vielleicht schicke ich Dir einige mathematische Probleme, um Deine Fähigkeiten weiter auszuloten.
Viel Glück mit der schriftlichen Division. Es scheint, Deine Schwester ist Dir wirklich eine ausgezeichnete Lehrerin.
Ergebenst,
C.
Janes Gedanken kreisten um das neue Rätsel, während sie mit Mrs Driscoll zu ihrer nächsten Klavierstunde bei Mr Hall ging.
Mit einer Silb’ ist’s abgetan …
Als sie sich dem großen Stadthaus näherten, nahm sie plötzlich im Augenwinkel eine Bewegung war. Sie wandte den Kopf und sah genauer hin. Lord Rushton schritt einen schmalen Seitenweg entlang, der an einem riesigen Gewächshaus endete.
»Sir … Mylord!«
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