Das Raetsel der Liebe
Jane ließ Mrs Driscolls Hand los und rannte zu ihm hinüber. Ihr kleines Herz klopfte wie wild, da sie angesichts ihrer Dreistigkeit eine Mischung aus Furcht und Aufregung empfand.
Der Earl blickte sich stirnrunzelnd um. Ob der Mann jemals lächelte?
Nicht, dass sie das erwartet hätte, aber …
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.« Sie hielt ihm ein Buch hin. »Es ist eine Abhandlung über die schlimmsten Gartenschädlinge. Mit Bildern und so. Da steht, woran man sie erkennt und wie man sie vertreiben kann. Es gibt verschiedene Methoden, zum Beispiel Tabaksud oder Zitronenwasser gegen Blattläuse, Ausräuchern … Schnecken kann man mit rohen Kartoffeln fangen … und es hat sogar einen speziellen Abschnitt über Schädlinge in Gewächshäusern …« Sie hielt kurz inne, um Luft zu holen.
Die Falten auf der Stirn des Earls vertieften sich, als er die Seiten durchblätterte. »Warum hast du mir das mitgebracht?«
»Ich dachte, Sie könnten es vielleicht gebrauchen. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich mich für Entomologie interessiere, wissen Sie nicht mehr?«
In ihrer Stimme lag ein spitzer Unterton, und sein Blick wurde sehr finster.
Doch Jane ließ sich nicht beirren. »Ich mag auch Rätsel und Denkaufgaben«, plapperte sie weiter. »Ich kenne sogar eins mit Insekten: Zwei Bäume, finster zum Himmel gereckt, verwandeln sich flugs in ein kleines Insekt.«
»Wovon zum Teufel redest du da überhaupt, Mädchen?«
»Es ist ein Rätsel. Zwei Bäume –«
»Ich habe es gehört«, grollte der Earl. »Eine Narretei, Rätsel.«
Jane wurde rot. »Äh, haben Sie herausgefunden, was mit meinem Farn los ist, Mylord?«
»Ja. Zu wenig Feuchtigkeit und wahrscheinlich zu viel direktes Sonnenlicht.«
»Ich gieße ihn täglich.«
»Besprühe ihn täglich. Nicht jeden Tag die Wurzeln gießen. Sie müssen abtrocknen, bevor man wieder gießt. Ich habe deinen Farn im Gewächshaus. Nach dem Unterricht kannst du herüberkommen und ihn mitnehmen.«
»Ja, Sir. Danke, Sir.«
Jane drehte sich um und lief eilig den Pfad zurück zu Mrs Driscoll.
»Eiben«, rief der Earl ihr nach.
»Eiben?«, wiederholte sie.
»Eiben. Umgestellt Biene. Die Antwort auf dein Rätsel.«
Er lächelte beinahe.
Beinahe.
»Bastian erzählte mir, deine Schwester mag auch Rätsel.«
»Oh ja, Mylord. Aber Lydias sind viel schwieriger als meine. Und sie haben alle was mit Zahlen und Gleichungen und so zu tun.« Eine Welle des Stolzes auf ihre Schwester erfasste sie. »Meine Schwester ist ein Genie, Lord Rushton. Auf der ganzen Welt gibt es kein Rätsel, das Lydia nicht lösen könnte.«
»Ist das so, Miss Jane?« Sein Gesicht nahm einen zweifelnden und zugleich entschlossenen Ausdruck an. »Nun, das werden wir ja sehen.«
11
Er war
hier
. Genau in diesem Augenblick kam er die Vordertreppe hoch. Lydia knüllte den schweren Vorhangstoff und versuchte sich zu erinnern, ob ihre Großmutter das Haus verlassen hatte. Ja, sie war gegangen. Sie hatte Jane zu einer der zahlreichen Wohltätigkeitsveranstaltungen mitgenommen, die sie zusammen mit Mrs Keene organisierte.
Erleichterung mischte sich mit Angst und freudiger Erwartung, als Lydia die Treppe hinunter zur Eingangstür ging. Sie riss sie auf, noch bevor die Glocke schellte. »Lord Northwood.«
Er blickte düster drein. Er sah furchtbar aus. Dunkle Ringe um die Augen, Bartstoppeln, die Kleidung fürchterlich verknittert. Hose und Mantel wirkten, als hätte er sie seit Tagen nicht gewechselt. Er sah eher aus wie Sebastian Hall, nicht wie der makellose Lord Northwood.
Natürlich wusste sie sehr gut, dass er es war. Sie erkannte es an der Art, wie Hitze sich auf ihrer Haut ausbreitete und ihr Herz plötzlich zu ticken begann wie ein Metronom. Sie erkannte es an der Art, wie sein Blick über ihren Körper wanderte – als sei er am Verhungern und sie ein leckerer, duftender Kuchen. Und sie erkannte es an der Art, wie ihr ganzes Ich von etwas überschwemmt wurde, das sich verdächtig nach Freude anfühlte.
Sie lächelte. Wie albern! Dieser Mann hatte ihr bisher eine ganze Menge Ärger eingebracht, und doch stand sie hier vor ihm, unfähig, die Glückseligkeit zu verbergen, die sie bei seinem Anblick empfand. Es ergab keinerlei Sinn, aber sie war alt genug, um zu wissen, dass Gefühle selten irgendeinen Sinn ergaben.
Sie konnte nicht aufhören zu lächeln, was Northwoods Blick nur noch mehr verdüsterte. »Was ist denn so schrecklich amüsant?«, knurrte er.
»Ach, gar nichts.« Sie trat beiseite,
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