Das Raetsel der Liebe
Nacht hierher geführt hat.«
Lydia nickte. Sie langte in ihre Tasche, nahm ein kleines Figürchen heraus und reichte es ihm. »Dies hier brachte mein Vater vor vielen Jahren von einer Reise in die chinesische Provinz Yunnan mit. Es ist ein Elefant aus Jade, recht hochwertig. Ich würde Ihnen dieses Stück gerne im Austausch gegen das Medaillon anbieten.«
»Und warum hat Ihre Großmutter nicht die Figur anstelle der Kette verpfändet?«
Lügen wäre zwecklos. Zumindest bei diesem Mann.
»Es ist nicht ganz so wertvoll«, gestand sie ein.
»Sie erwarten von mir, dass ich mich auf einen unfairen Tausch einlasse?«
»Nein. Mein Vater besitzt außerdem diverse chinesische Handschriften und ein oder zwei Gemälde – falls Sie an mehrere Gegenstände gedacht hatten?«
Northwood schüttelte den Kopf. »Ich sammle weder chinesische Kunst noch Antiquitäten, Miss Kellaway. Das bringt uns nicht weiter. Wie ich bereits sagte: Ich habe das Medaillon gekauft, weil ich es einzigartig fand.«
»Es muss aber doch irgendetwas geben, das Sie gerne hätten.«
»Was sonst könnten Sie mir denn anbieten?«
Obwohl die Frage unschuldig klang, schlug der in Northwoods Stimme mitschwingende Unterton kleine Wellen in ihrem Inneren. Und in deren Kielwasser durchströmte sie Wärme, doch war es nicht jene Zärtlichkeit, die von Gefühlen des Herzens erweckt wird, sondern eher eine Hitze, gesäumt von Wildheit und Kontrollverlust. Gefahr.
Ihre Augen brannten.
Das Medaillon. Das Medaillon.
»Ich … ich verfüge im Moment nicht über die nötigen Mittel, um es von Ihnen zurückzukaufen«, räumte sie ein, »obgleich mir kürzlich eine bezahlte Stellung angeboten wurde. Ich könnte Ihnen einen Schuldschein ausstellen im Austausch gegen –«
»Es gibt niemanden, dem ich zutraue, einen Schuldschein einzulösen.«
»Ich versichere Ihnen, Mylord, ich würde niemals –«
»Niemanden, Miss Kellaway.«
Lydia atmete hörbar aus, außerstande, angesichts seiner Entschiedenheit auch nur die geringste Empörung zu empfinden. Sie selbst würde auch nicht darauf vertrauen, dass jemand einen Schuldschein einlöste. Beinahe achtundzwanzig Jahre Leben hatten sie das gut genug gelehrt.
»Ebenso würde ich niemals Geld annehmen, das Sie … verdienen?«, fügte er hinzu.
In dieser Feststellung schwang eine Frage mit, und zwar eine, die Lydia unter gar keinen Umständen beantworten wollte. Wenn sie ihm erzählte, dass man ihr einen Posten in der Redaktion einer mathematischen Zeitschrift angeboten hatte, würde er sie höchstwahrscheinlich entweder auslachen oder … Augenblick mal.
»Wie ich hörte, Mylord, leiten Sie den Aufbau einer Ausstellung der Royal Society of Arts. Ist das richtig?«
Er nickte. »Eine internationale Bildungsausstellung, die ich vor gut einem Jahr vorgeschlagen habe. Sie soll im Juni eröffnen. Die Vorbereitungen laufen bereits.«
Eine internationale Ausstellung. Lydias Finger schlossen sich fester um das Notizbuch.
»Wird sich ein Teil der Ausstellung zufällig auch mit … Mathematik beschäftigen?«, fragte sie.
»Wir planen, mathematische Instrumente aus aller Welt zu zeigen.«
»Ich verstehe.« Sie versuchte, den Angstschauer zu unterdrücken, der durch ihren Körper rieselte. Falls er ihr Angebot akzeptierte, müsste sie keine öffentliche Rolle spielen. Alles, was sie zu tun hätte, könnte vor der Eröffnung abgewickelt werden. Vielleicht würde noch nicht einmal jemand außer Lord Northwood überhaupt davon erfahren.
»Lord Northwood, ich möchte Ihnen im Austausch für das Medaillon meine Mithilfe bei Ihrer Ausstellung anbieten.«
»Wie bitte?«
»Ich besitze ein Talent für Mathematik, und ich bin ziemlich sicher, dass ich Ihnen eine gute Beraterin sein könnte.«
»Sie besitzen ein Talent für Mathematik?«
Er sah sie an, als sei sie das absonderlichste Geschöpf, dem er je begegnet war. Lydia ertrug solche schiefen Blicke schon seit ihrer Kindheit und war sie gewohnt. Doch dass Lord Northwood sie jetzt auf ebensolche Weise betrachtete, traf sie unerwartet hart.
»Ungewöhnlich, ich weiß«, erwiderte sie und versuchte, möglichst entspannt zu klingen. »Aber so ist es nun mal. Ich habe den Großteil meines Lebens mit Zahlen zugebracht und damit, nützliche Lehrsätze zu entwickeln und zu beweisen. Ich kann Sie zu Wirksamkeit und Wert der mathematischen Exponate beraten.«
»Wir werden bereits beraten, von einem Unterausschuss der Society, der aus Mathematikern und Professoren
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