Das Rätsel der Rückkehr - Roman
setze mich an die Heizung hinten im Raum.
Nach einer Weile kommt sie zur Bestellung
Arcade Fire
hört man kaum.
Kurzes Frühstück, bevor ich zum Bahnhof eile.
Ich kritzle rasch ein paar Notizen für Songtexte auf das Spitzendeckchen aus Papier, während ich in Ruhe meinen Kaffee trinke. Zwischen den Szenen kleine Skizzen.
A-Seite
1. Szene: Ich spaziere durch die Straßen, den Zimmerschlüssel in meiner Hosentasche. Ich habe Angst ihn zu verlieren, während ich (mit den Fingerspitzen) die Idee liebkose, dass nun mein ganzer Besitz in meiner Tasche ist.
2. Szene: Ich treffe einen Freund, den ich in Port-au-Prince kannte, er lädt mich zu sich nach Hause ein. Seine Frau empfängt mich mit einem sehr sinnlichen Lächeln und Schlafzimmerblick. Ich bleibe nicht lange, denn da spiele ich nicht mit.
3. Szene: Ich komme am Museum vorbei, draußen hängt das Plakat zu einer Modigliani-Ausstellung. Ich gehe, ohne zu zahlen, hinein. Sein Leben unterscheidet sich nicht von dem meinen: wenig Essen, Mädchen mit langem Hals und billiger Wein.
4. Szene: Ich sitze auf einer Bank im Park, genau der Bibliothek gegenüber. Direkt neben mir zwei Teenager, die vor einem schreckstarren Eichhörnchen knutschen. Enten scheinen gleichgültiger zu sein.
5. Szene: Ich mache mir Spaghetti mit Knoblauch und kucke nebenbei einen alten Kriegsfilm auf meinem kleinen Schwarzweiß-Fernseher. Es spielt die deutsche Schauspielerin mit den schweren Händen, ihren Namen weiß ich nicht mehr.
6. Szene: Von meinem Fenster aus verfolge ich das junge Mädchen im Sommerkleid (mit bloßen Schultern und Beinen), bis vor ihr Haus. Sie hat sich umgedreht, da sie meinen Blick in ihrem Nacken spürte, in dem Moment, als sie durch die Tür trat. Zwei Tage später lag sie in meiner Badewanne.
B-Seite
7. Szene: In der Rue Laurier geht eine gut gekleidete Dame vor mir. Sie verliert einen Ohrring. Ich versuche es ihr zu sagen. Sie beachtet mich nicht. Ich halte ihr den Ohrring vor die Nase. Sie reißt ihn mir aus der Hand und schaut mich an, als hätte ich versucht, ihn zu stehlen.
8. Szene: Ein Gespräch über Selbstmord in einer Bar. Das beeindruckt mich immer, denn man braucht Mut, sich das Leben zu nehmen. Der Typ neben mir erzählt, dass er schon zwei ernsthafte Selbstmordversuche hinter sich hat, aber keinen Tag im Exil aushalten würde. Bei mir ist es umgekehrt, ich glaube, ich könnte einen Selbstmord nicht überleben.
9. Szene: Ich bin in Repentigny, einem kleinen, ziemlich schicken Vorort. Die jungen Leute träumen davon, ihre Bilder in einer der Kunstgalerien von Montréal zu zeigen. Ich rate ihnen, zunächst einmal in ihrem Wohnzimmer auszustellen. Sie wundern sich, dass sie selbst noch nie daran dachten. Ich stamme aus einem Land, wo man gewohnt ist, mit dem auszukommen, was man hat.
10. Szene: Wir sind in einer Clique. Das Mädchen, das ich seit einer Weile heimlich beobachte, kommt und küsst mich. Ein endloser Kuss. Ihr Freund schaut lachend zu. Wir hatten davor weder getrunken noch geraucht. Es löste eine kleine Explosion in meinem Kopf aus, danach waren die Beziehungen zwischen Mann und Frau in meinen Augen völlig verändert. In Port-au-Prince hätte schon ein Blick gereicht.
11. Szene: Ich gehe zu einer Nothilfe für Arbeitsmigranten in der Rue Sherbrooke. Wenn du wirklich arm dran bist, geben sie dir zwanzig Dollar, um durch den Tag zu kommen. Wir reden über Politik und der Typ will wissen, unter welchen Umständen ich mein Land verließ. Ob ich schon mal gefoltert wurde. Die Antwort ist Nein. Er fragt nochmal, schon eine Ohrfeige würde mir hundertzwanzig Dollar bringen. Wieder Nein. Beim Abschied schiebt er mir ein Kuvert zu, das ich hinter der nächsten Ecke öffne, es sind hundertzwanzig Dollar drin. Ich fühle mich, als hätte ich ungedopt beim Hundert-Meter-Lauf gewonnen.
12. Szene: Der Alte, der über mir wohnte, das war noch in der Rue Saint-Hubert. Jedesmal, wenn er mich auf der Treppe traf, musste ich ihm in sein Zimmer folgen. Er wollte mir sein Album voller Fotos mit lachenden Gesichtern zeigen. Während der zwei Jahre, die ich in dem Mietshaus wohnte, bekam er nie Besuch.
Frühlingslied: Der erste Tag, an dem man ohne Wintermantel hinaus kann. Ich gehe die Rue Saint-Denis entlang. Die Sonne auf der Haut.
Hinterm vereisten Fenster
Ich war an jenem Dezembernachmittag
nichts als ein Schatten hinterm vereisten Fenster
in Bewunderung
vor dem großartigen Schauspiel der Natur.
Ich schaute gebannt auf all diesen
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