Das Rätsel der Templer - Roman
Opferlisten auf Seiten der Christen steigen stetig an. An der Küste treffen täglich Schiffe mit ganzen Ladungen neuer
Pilger ein, die ohne Rücksicht auf Werdegang und Ausbildungsstand in die Kämpfe verwickelt werden, und das, noch bevor sie
die Heilige Stadt erblicken durften. Die völlig unvorbereiteten und schlecht ausgerüsteten Menschen werden abgeschlachtet
wie Vieh. Es vergeht kein Tag, an dem man uns nicht mit Toten oder Verstümmelten konfrontiert. Die toten Ordensritter werden
trotz sengender Hitze bis auf das Gelände des Tempelberges geschafft, damit sie adäquat bestattet werden können. Der Gestank,
den die aufgestapelten Leichen verbreiten, ist unbeschreiblich. Wir wagen es längst nicht mehr, unsere Zuflucht im Hauptquartier
des Ordens zu verlassen. Langsam wird das Wasser knapp. Hinzu kommt das permanente Risiko der Vergiftung der Brunnen durch
feindliche, fatimidische Gruppen. In regelmäßigen Abständen wird das spärliche Wasserreservoir unter Einsatz von Hunden und
Katzen auf Genießbarkeit untersucht. Trotzdem hat es schon Todesfälle gegeben. Und obwohl wir im Gegensatz zur bedauernswerten
Stadtbevölkerung mit antitoxischen Blockern geimpft sind, würden wir lieber heute als morgen die Rückkehr nach Hause
|201|
antreten. Dem entgegensteht, dass jeglicher Kontakt zur Basis abgebrochen ist. Letzter Digitalaustausch mit SB
1
fand kurz nach unserer Ankunft statt. Sie haben eine Laserboje gesetzt, um unsere Koordinaten bestimmen zu können. Zwischenzeitlich
sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass während des Transfers etwas Unvorhergesehenes geschehen sein muss. Wie sonst wäre
eine solche Abweichung von den eingegebenen Zeitkoordinaten möglich?
Ein Umstand, der unsere Rückkehr zusätzlich erschwert. Bis jetzt gibt es keinerlei Neuigkeiten. Außer einem Feuerball, den
mutmaßliche Verbündete der Ägypter draußen vor den Stadttoren abgeschossen haben, ist nichts bei uns angekommen. Fast all
unsere Ausrüstungsgegenstände sind einem anschließenden Brand zum Opfer gefallen, der nach dem nächtlichen Beschuss in einem
unserer Schlafräume ausgebrochen ist. Ohne Trinkwasser sind unsere Energiequellen fast aufgebraucht, und solange wir unser
Domizil nicht verlassen können, besteht keine Möglichkeit, sie wieder aufzuladen. Die Umstände hier vor Ort entsprechen dem
Code Black.
Unsere Gastgeber, die Miliz Christi, wie sie sich selbst nennen, sind unerwartet kooperativ, was nicht zuletzt daran liegen
mag, dass ihre Anführer in ein uraltes Geheimwissen eingeweiht sind, in dem unsere Ankunft prophezeit wurde. Eine Tatsache,
die uns nicht weiter hilft, solange wir den Ursprung dieses Wissens nicht kennen. Leider stehen uns keine historischen Datenbanken
zur Verfügung. LYN hat sich an eine Archivdatei erinnert, die sie zu Prüfungszwecken studiert hat. Danach wird die nächste
Transmission eines Menschen am
16
.
10
.
1307
–
18:31
MEZ von einem Transmissionsfeld in Europa unter den Koordinaten
50°01’44,48
’’ N und
6°45’18,60
’’ E zum
13. 11. 2004
zeitgleich erfolgen.
Dass es sich bei dem Transferierten um einen Angehörigen der Miliz Christi handeln soll, halte ich jedoch für ein Gerücht.
Bedauerlicherweise ist LYN nicht in der Lage, eine Aussage darüber zu treffen, in welchem Zusammenhang die Transmission erfolgte.
Für uns ist es in jedem Fall zu spät. Einhundertfünfzig Jahre können wir beim besten Willen nicht warten, um von hier wegzukommen.
Bleibt zu hoffen, dass der Kontakt zur Basis wiederhergestellt werden kann.
Bis dahin sind wir gefangen, in Raum und Zeit, ohne Aussicht darauf, unsere Mission zu Ende führen zu können.
|202|
LYN hat heute Morgen ein Pergament mit Formeln und Hinweisen beschrieben und in eine Plombe verpackt. Dann hat sie die Heilige
Botschaft, wie sie es nennt, unauffällig bei der Beerdigung von fünf gefallenen Tempelrittern in deren Gruft deponiert. Ihre
Idee, dass in einer benachbarten Zeitebene jemand die Plombe entdeckt und uns helfen könnte zurückzukehren, halte ich für
gewagt.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, hat sie gesagt. Ob uns jemand aus dieser Hölle nach Hause zurück holt, halte ich jedoch für so
unwahrscheinlich, wie einen Tropfen ungesalzenes Grundwasser in dieser verdammten Stadt zu finden, und der Grad unserer Verzweiflung
lässt sich daran messen, dass ich diese Zeilen mit der Hand schreiben muss …
Hier brach der Text ab. Plötzlich bemerkte
Weitere Kostenlose Bücher