Das Rätsel der Templer - Roman
rechte Hand ein.« Als wäre ein Beweis vonnöten, hob er seinen Unterarmstumpf, der zum Schutz
mit Leder umwickelt war.
»Wir waren auf dem Weg nach Heisterbach«, murmelte Struan einsichtig. »Was genau Euer Sohn dort vorhatte, weiß ich nicht.
Er sagte nur, Henri d’Our habe ihm einen geheimen Auftrag gegeben und befohlen, dass Bruder Johan und ich ihn dabei unterstützen
sollten und dass er uns erst gänzlich einweihen könne, wenn wir am Zielort angekommen seien.«
»Heisterbach«, flüsterte Richard abwesend. »Ich hätte es mir denken können.«
»Was wollt Ihr damit sagen?« Struan sah den weißhaarigen Edelfreien prüfend an.
»Hat Gero sonst noch etwas gesagt? Vielleicht etwas, das Euch merkwürdig erschien?«
Struan zögerte, als ob er nachdenken müsste, dabei stellte er sich |193| die Frage, ob er es wagen durfte, Dinge preiszugeben, die streng geheim waren und die er selbst nicht verstand.
»Er sprach von einem ›Haupt der Weisheit‹«, sagte er knapp und nahm rasch einen Schluck des köstlichen Weißweins.
Richard atmete tief durch. Für einen Moment schien alle Farbe aus seinem Gesicht zu weichen. Er fixierte Struan mit einem
durchdringenden Blick und beugte sich in seinem pompösen Scherenstuhl vor.
»Ich muss unbedingt wissen, was genau d’Our mit seinem Befehl bezweckt hat.«
»Ich weiß es nicht, Sire«, erwiderte Struan mit einer gewissen Verzweiflung im Blick. »Gero sagte lediglich, es könne dazu
beitragen, den Orden zu retten.«
Richard nickte stumm und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
»Hoher Herr«, sagte Struan leise, »ich habe Euch alles berichtet, was ich weiß. Wollt Ihr so gütig sein und mich an Euren
Gedanken teilhaben lassen? Schließlich ist es nicht nur Euer Sohn, den Ihr so schmerzlich vermisst. Er ist zudem mein Bruder
im Orden und darüber hinaus der beste Freund, den ich je hatte.«
Richard setzte sich seufzend auf und sah Struan mit ernstem Blick an. »Ich bin kein Angehöriger Eures Ordens, wie Ihr wisst«,
begann er. »Und doch fühle ich mich den Templern eng verbunden. Als ich Henri d’Our und Eurem jetzigen Großmeister zur Flucht
aus dem umkämpften Akko verhalf, konnte ich nur ahnen, dass es um etwas weit Wertvolleres ging als um das Leben von ein paar
geschätzten Obrigkeiten des Templerordens. Man bat mich und meinen Schwager Gerhard von Lichtenberg, einen Vasallen des Herzogs
von Lothringen, Henri d’Our und Jacques des Molay auf der Flucht zu ihrem Schiff sicheres Geleit zu garantierten. Sie trugen
etwas mit sich. Es war eingewickelt in einer verschlossenen Ledertasche, und an der Art, wie Bruder Henri die Tasche hielt,
konnte ich sehen, dass sie mehr wert war als alles Gold, das der Orden besaß. Kurz bevor wir den Hafen erreichten, durchbrachen
die anstürmenden Mamelucken einen Teil des Festungswalls. D’Our verlor im Getümmel die Tasche, und bei dem Versuch, sie vor
dem Zugriff der Mamelucken zu schützen, gerieten wir in arge Bedrängnis. Ein jüdischer Kaufmann eilte uns zu Hilfe, und es
gelang |194| ihm, die Tasche einem der Angreifer zu entreißen. Doch die Übermacht der Mamelucken war so stark, dass der wütende Mob den
armen Mann und seine Frau kaltblütig erschlug. Ich konnte den Mamelucken, der die Kaufmannsleute angegriffen hatte, töten.
Danach versuchte ich erneut, der Tasche habhaft zu werden, was mich meine rechte Hand kostete. Mein Schwager war mir zur Hilfe
geeilt. Jedoch verlor er für einen Moment den Überblick über seine Rückendeckung, und einer der Gegner spaltete unvermittelt
sein Haupt. Letztendlich war es Jacques de Molay, der den Angreifer tötete. Anschließend nahm Euer jetziger Großmeister die
Tasche an sich. Noch bevor ich, schwer verletzt und ohne die sterblichen Überreste meines Schwagers, die Flucht fortsetzen
konnte, entdeckte ich ein wimmerndes Mädchen, das bei den toten jüdischen Kaufleuten hockte. Sie war kaum sechs Jahre alt
und offensichtlich deren Tochter. In der Hitze des Augenblicks beschwor ich Molay und seine Mitstreiter, das Kind nicht zurückzulassen,
und Gott dem Allmächtigen versprach ich, dass ich mich des Mädchens annehmen und sie dem Klosterkonvent der Zisterzienserinnen
von Sankt Thomas übergeben würde, wenn er uns nur lebend aus der Stadt entkommen ließe.«
Richard von Breydenbach schwieg einen Moment. Vor seinem geistigen Auge zogen anscheinend all die düsteren Ereignisse dieser
längst vergangenen Tage
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