Das Rätsel
würde. Sie durchquerte mit wenigen Sätzen das Zimmer, riss die Schranktür auf und griff sich eine der Pistolen ihrer Tochter. Sie drehte sich um, nahm die Schusshaltung ein, die ihre Tochter ihr gezeigt hatte, spannte mit dem Daumen den Hammer des kleinen Revolvers und entsicherte die Waffe mit ein und derselben Bewegung.
Sie war allein.
Diana lauschte angestrengt, konnte aber nichts hören. Jedenfalls nichts, was darauf schließen ließ, dass der Eindringling in der Nähe war. Immer noch übertrieben vorsichtig, lief sie von Zimmer zu Zimmer, schaute in jedem Schrank, in jedem Winkel und unter den Betten nach, überall, wo ein Mann sich verstecken könnte. Es war alles unverändert. Nichts ließ darauf schließen, dass irgendjemand anders im Haus gewesen war, und sie entspannte sich ein wenig.
Sie kehrte zur Küche und zur aufgebrochenen Tür zurück, um sich den Rahmen genauer anzusehen. Sie würde noch heute einen Handwerker rufen müssen, damit der sofort herkam und es reparierte. Sie schüttelte den Kopf und hielt sich eine Weile das kühle Metall der Pistole an die Stirn. Was sie noch einen Moment zuvor so sehr geängstigt hatte, schrumpfte zu einem kleinen Ärgernis zusammen, als sie im Kopf die kurze Liste von Arbeitern durchging, die so kurzfristig zur Verfügung stehen könnten. Sie besah sich das zersplitterte Holz noch einmal. »Zur Hölle damit«, murmelte sie laut. Ein Landstreicher vermutlich. Oder auch Teenager, die die Schule schwänzten. Sie hatte von ein paar findigen Siebzehnjährigenin der Gegend gehört, die mit Fernsehern, Stereoanlagen und Computern, die sie tagsüber stahlen, wenn die Familien zur Arbeit oder in der Schule waren, satte Gewinne machten. Die Kratzer am Türrahmen sagten ihr, dass der jenige, der das Schloss kaputt gemacht hatte, ein Anfänger gewesen sein musste. Jemand, der ein Stück Metall ins Holz gerammt und dann mit roher Gewalt nachgeholfen hatte. Jemand, der in Eile gewesen war und sich nicht viel Mühe gegeben hatte. Jemand, der geglaubt hatte, es sei niemand zu Hause und ein wenig Lärm würde niemanden stören.
Die Jugendlichen mussten gekommen sein, kurz nachdem Susan weg war. Wahrscheinlich waren sie schon halb im Haus, als sie merkten, dass sich jemand rührte. Das musste sie wohl in die Flucht geschlagen haben.
Sie schmunzelte und hob die Pistole.
Wenn die wüssten. Sie hielt sich nicht gerade für eine Kriegerin und glaubte schon gar nicht, mehreren Teenagern gewachsen zu sein. Sie betrachtete die Waffe. Vielleicht wären die Chancen damit ausgeglichen gewesen. Allerdings nur, wenn sie rechtzeitig an die Pistole gekommen wäre. Sie versuchte, sich vorzustellen, mit ein paar Jugendlichen um die Wette durchs Haus zu sprinten. Wohl kaum ein Rennen, das sie gewinnen könnte.
Diana schüttelte den Kopf.
Sie seufzte und beschloss, nicht allzu viel darüber nachzudenken, wie knapp sie gerade einem gewaltsamen Tod entkommen sein mochte. Nichts war passiert, nichts mehr als eine Unannehmlichkeit, und dazu noch eine, die alltäglich war, nicht nur auf den Keys und in den Städten, sondern auch überall sonst. Ein bedeutungsloser Vorfall, der es nicht wert war, lange darüber nachzudenken, und der tödlich hätte enden können. Sie hörten die Geräusche, als Diana aufstand,und bekamen es mit der Angst zu tun, und das war gut so, denn wären sie auch nur ein, zwei Schritte ins Haus eingedrungen, dann hätten sie wahrscheinlich beschlossen, sie nicht nur zu berauben, sondern auch umzubringen.
Sie stellte sich die Teenager vor – lange, fettige Haare, Ohrringe und Tattoos, Nikotinflecken an den Fingern. Punks, dachte sie, ohne zu wissen, ob das Wort noch geläufig war.
Diana wandte sich von der Tür zum Küchentisch um. Sie legte den Revolver auf die Platte und schob sich noch ein süßes Stück Melone in den Mund. Die zuckrigen Säfte weckten ihre Lebensgeister. Sie nahm das Glas Orangensaft und griff erneut nach den Pillen, die ihre Tochter für sie zurechtgelegt hatte.
In diesem Moment hielt sie inne.
Ihre Hand schwebte kurz über den Tabletten in der Luft. Was stimmt da nicht?, fragte sie sich plötzlich.
Es durchfuhr sie eiskalt.
Sie zählte die Pillen. Zwölf.
Das sind zu viele, dachte sie. So viel weiß ich. Gewöhnlich sind es nicht mehr als sechs. Sie nahm nacheinander die Döschen zur Hand, las jedes Etikett, zählte noch einmal und sagte laut: »Sechs. Müssten sechs sein.«
Es waren zwölf auf dem Teller.
»Susan, hast du einen Fehler
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