Das Rätsel
wäre alt genug gewesen, nicht zu weit vom Haus wegzulaufen. Besonders kurz vor dem Abendessen. Na, jedenfalls ist sie weg, ihre Familie ruft nach ihr, die Nachbarn gehen alle mit Taschenlampen los, und sogar die Staatssicherheit taucht mit ’nem Hubschrauber auf, aber weit und breit nichts zu sehen. Man hat sie nie gefunden. Weit und breit kein Lebenszeichen. Die meisten haben sich gedacht, dass Wölfe oder Wildhunde sie auf dem Gewissen haben. Andere tippen auf ’n Sasquasch oder so was in der Art. Ich halte natürlich nichts davon. Glaube nicht an so ’nen Fabelkram.Ich vermute, sie ist einfach abgehauen, um es nach einem Streit den Eltern heimzuzahlen. Sie wissen ja, wie Jugendliche sind. Und sie haut ab, verirrt sich, und das ist es. Im Vorgebirge, da gibt es ein paar Höhlen, und alle vermuten, dass ihre Leiche letztlich dort liegt, aber es gehört schon eine ganze Armee dazu, um dieses riesige Gebiet zu durchforsten. Jedenfalls hat die Polizei das gesagt. Danach sind eine Menge Leute weggezogen. Kann sein, dass ich der Einzige im Viertel bin, der aus der Zeit noch übrig ist. Hat mich nicht allzu schlimm mitgenommen. Meine Kinder sind erwachsen.«
Jeffrey trat zurück und lehnte sich an eine der weißen Wände im Haus. Jetzt fiel ihm wieder ein, wo er die Adresse schon einmal gesehen hatte – in einem der Artikel aus der
Post
. Er hatte ein verschwommenes Bild von einem lächelnden Mädchen mit Zahnspange vor Augen. Auch das war in der Zeitung gewesen.
Der Mann zog die Schultern hoch. »Man sollte meinen, dass die Makler diesen Teil der Geschichte unter dem Deckel halten, wenn sie das Haus zeigen. Es ist ein schönes Haus. Sollte wieder jemand drin wohnen. Eine neue Familie. Wird wohl irgendwann klappen.«
Der Mann ruckte erneut an der Leine seines Hundes, obwohl der Terrier diesmal still am Boden saß. »Außerdem drückt es allen anderen die Preise runter, wenn man es leer stehen lässt.«
Plötzlich schaltete sich Martin ein: »Haben Sie in letzter Zeit jemanden hier gesehen?«
Der Nachbar schüttelte den Kopf. »Wen haben Sie denn hier vermutet?«
»Was ist mit Arbeitern, Maklern, Gärtnern, sonst irgendjemandem?«, fragte Clayton.
»Na ja, keine Ahnung. So jemand wäre mir nicht aufgefallen.«
Detective Martin hielt dem Mann die Computerausdrucke von Gilbert Wray und seiner Familie unter die Nase.
»Kommen die Ihnen irgendwie bekannt vor? Schon mal gesehen?«
Der Mann starrte die Bilder an und schüttelte den Kopf.
»Nee«, meinte er.
»Und die Namen? Erkennen Sie die Namen wieder?«
Der Mann schwieg und schüttelte zum zweiten Mal den Kopf. »Nie gehört. Hey, was soll das Ganze hier eigentlich?«
»Das geht Sie einen feuchten Kehricht an«, schnauzte Martin und schnappte ihm die Fotos wieder aus der Hand. Der Terrier kläffte und sprang dem Detective angriffslustig entgegen, der nur auf ihn herabstarrte.
Jeffrey rechnete mit einer weiteren Frage des Detective oder mit einem Fußtritt gegen den Hund, als ein Mann des Einsatzkommandos aus einem anderen Zimmer rief: »Agent Martin! Ich glaube, wir haben hier was.«
Der Detective machte einer der Frauen im Team, die etwas abseits stand, ein Zeichen. »Nehmen Sie von dem Mann eine Zeugenaussage auf.« Und in etwas bitterem Ton fuhr er fort:
»Danke für Ihre Hilfe.«
»Gern geschehen«, sagte der Nachbar hochmütig. »Ich möchte allerdings immer noch erfahren, was hier vor sich geht. Ich hab schließlich auch ein paar Rechte, Officer.«
»Hat jemand was anderes behauptet?«, brummte Martin zurück.
Mit Clayton im Schlepptau ging Martin der Stimme des Beamten nach. Sie kam aus dem Küchenbereich.
Es war einer der Männer, die als Telefontechniker verkleidet waren. »Den hier hab ich gefunden«, erklärte er.
Er zeigte auf eine Arbeitsplatte aus poliertem grauem Stein gegenüber der Spüle. Auf der Theke stand ein kleiner, preiswerterLaptop, der in eine Steckdose in der Wand und eine Telefonbuchse eingestöpselt war.
Neben dem Computer befand sich eine einfache Schaltuhr, wie man sie in jedem Computergeschäft kaufen kann. Auf dem Bildschirm leuchteten geometrische Formen, die sich bewegten und in einem elektronischen Tanz willkürlich Form und Farbe wechselten – von Gelb über Blau zu Grün und Rot –, und das alle paar Sekunden.
»Von dem aus hat er mir die Nachricht geschickt«, überlegte Jeffrey ruhig.
Agent Martin nickte.
Jeffrey trat bedächtig auf den Laptop zu.
»Diese Schaltuhr«, fragte der angebliche Techniker,
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