Das Rätsel
ob ich nun überlebe oder sterbe: Mein Platz in der Geschichte ist mir sicher. Durch deine Anwesenheit und durch die Aufmerksamkeit, die diese Nacht auf sich lenken wird, bevor sie vorbei ist.«
Wieder herrschte einen Augenblick Stille im Raum, dann fuhr der Mörder fort: »Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem die Entscheidung fallen muss, Jeffrey. Du bist ein Teil von mir, das weiß ich. Jetzt musst du in die Tiefe gehen und diesen Teil von dir, der uns gemeinsam ist, aus der Versenkung holen und die naheliegende Wahl treffen. Es ist so weit, Jeffrey. Es ist Zeit, dass du das wahre Wesen des Tötens begreifst.«
Er sah seinen Sohn an. »Töten, Jeffrey, macht dich frei.«
Curtin stand auf. Er beugte sich zu dem kleinen Lesetisch vor und öffnete mit einem kurzen, schabenden Geräusch eine Schublade. Dieser entnahm er ein großes Messer aus Armeebeständen, das er aus einer olivgrünen Scheide zog. Im polierten Stahl der gezackten Klinge spiegelte sich das Licht. Curtin bewunderte die Waffe, streichelte die stumpfe Kante und drehte die Klinge dann, um seinen Finger an die scharfe Schneide zu legen. Er hob die Hand und zeigte Jeffrey ein dünnes Rinnsal Blut an seinem Daumen.
Er lauerte auf die Reaktion seines Sohnes. Jeffrey versuchte, ein möglichst ausdrucksloses Gesicht zu wahren, während ihn innerlich die Emotionen wie eine plötzliche Meeresströmung vor dem sommerlichen Strand in die Tiefe zu zerren drohten.
»Was?«, sagte Curtin und grinste wieder. »Hattest du etwagedacht, ich würde dich diese Erfahrung mit etwas so Sterilem wie einer Schusswaffe machen lassen? Damit du die Augen zukneifst, ein Stoßgebet gen Himmel schickst und abdrückst? So sauber und distanziert wie ein Exekutionskommando? Das würde dir nicht die Augen öffnen.«
Curtin warf das Messer mit Schwung quer durchs Zimmer. Einen Moment blitzte es in der Luft, dann landete es mit einem leisen, dumpfen Geräusch zu Jeffreys Füßen auf dem Teppich, wo es immer noch glitzerte, als wäre es lebendig.
»Es ist Zeit«, sagte sein Vater. »Meine Geduld ist zu Ende. Keine Verzögerungen mehr.«
25. KAPITEL
Das Musikzimmer
Susan blieb erneut am Rand des Lichtkegels stehen und betrachtete die Rückseite des Hauses. Sie ließ den Blick langsam von der entferntesten Ecke über die weithin sichtbare gewöhnliche Gartentür wandern und von dort bis zum anderen Ende des Hauses. Genau wie zuvor ihr Bruder, registrierte sie den Kies unter den Fenstern und die dornigen Büsche rund ums Erdgeschoss. Mit Ausnahme einer einzigen, etwa einen Meter breiten Lücke direkt ihr gegenüber bildeten sie einen dicht ineinander verwachsenen, undurchdringlichen, lebendigen Kordon.
Ihr war augenblicklich klar, dass die Lücke in dieser Barriere direkt auf den Pfad durch den Wald führen musste und von dort zu der versteckten Garage, an der Diana geduldig warten würde, bis etwas geschah.
Eine Sekunde starrte Susan auf diese Stelle. Sie wirkte wie ein Versehen bei der Gartenplanung oder als ob eine einzelne Pflanze abgestorben und entfernt worden wäre, und dann wurde ihr klar, was es tatsächlich war: die geheime Tür.
Aus dieser Entfernung konnte sie weder Gestalt noch Größe dieses Eingangs erkennen. Die Wand des Hauses schien nahtlos weiterzugehen. Ohne die Auskunft des Bauunternehmers hätte sie dort nie eine Tür vermutet. Sie konnte nicht sagen, wo die Klinke oder ein Schloss versteckt war, und ihr war auch bewusst, dass man sie vielleicht von außen gar nicht öffnenkonnte. Doch Susan hielt es für wesentlich wahrscheinlicher, dass es irgendeine versteckte Schließvorrichtung gab.
Und dass sie nicht verriegelt war.
Mir bleibt keine Zeit, dachte sie.
Susan warf einen letzten Blick auf die Fenster, um drinnen ihren Bruder oder sonst etwas auszumachen und irgendeinen Hinweis zu finden, was im Haus vor sich ging, doch es rührte sich nichts. Sie spannte die Muskeln ihrer Arme, dann der Beine, sprach mit ihrem Körper wie mit einem Freund und sagte: »Mach schnell, bitte. Nicht zögern, immer weitergehen, egal, was passiert.« Sie holte tief Luft, packte ihre Maschinenpistole fest mit beiden Händen und merkte im nächsten Moment, wie sie aufstand, vortrat und in halb gebückter Stellung über die erleuchtete Grasfläche rannte. In dieser Sekunde war sie sich nur dieser schrecklichen Helligkeit bewusst; das Gras zu ihrem Füßen schien mit scharfen Klingen gespickt; statt der kühlen Luft des Waldes blieb nur ihr dampfender, keuchender Atem. Ihre Beine
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