Das Rätsel
kleinen Spalt breit? Weil du davor Angst hast, was du reinlassen könntest? Rein oder auch raus …?«
Peter Curtin war offensichtlich in seinem Element. »Nun ja, damit liegt vermutlich der Preis für den Tod dieser ganz und gar unbedeutenden jungen Dame ein wenig höher, als wir zunächst angenommen hatten …«
Jeffrey war nicht bereit, auf diese Frage zu reagieren.
Er starrte auf das Paar ihm gegenüber und taxierte das Funkeln in den Augen seines Vaters im Vergleich zu dem eisigen Blick seiner Frau. In diesem Moment erschienen sie ihm als ein überaus gegensätzliches Paar. Die Frau bis zum Anschlag gespannt und darauf versessen zu töten. Sein Vater dagegen wirkte gelöst, redselig und unbeschwert, ohne auf die Zeit zu achten, während er es genoss, seinen Sohn in ein wohl kalkuliertes Dilemma zu stürzen. Für ihn war das Töten nur das Dessert: Die Folter war das Hauptgericht. Angesichts seines spöttischen Tons fiel es Jeffrey nicht schwer, sich vorzustellen, wie qualvoll das Ende so vieler Opfer in den letzten Minuten gewesen sein musste.
Die Helligkeit im Zimmer, die Hitze, die immer unerträglicher zu werden schien, der stete Druck, der von den Worten seines Vaters ausging, pressten ihm die Brust zusammen, als wäre er tief unter Wasser. Er wollte an die Oberfläche auftauchen, um zu atmen. Ihm wurde in dieser Sekunde bewusst, dass er in die elementarste Falle gegangen war, die der Mann ihm gegenüber, seinem Kind, in klarer Absicht stellte: Zwischen ihm und seinem Vater lag eine feine Linie, an der sich ihre Wege schieden – für ihn zählten Menschenleben. Für seinen Vater nicht.
Jeffrey wollte leben.
Seinem Vater, der so vielen den Tod gebracht hatte, war esegal, ob er in dieser Nacht überlebte oder starb. Ihm ging es um etwas anderes.
Jeffrey blieb stumm und versuchte aus jedem mühsamen Atemzug Kraft zu schöpfen, um Haltung zu bewahren.
Zeit, dachte er plötzlich. Du musst Zeit schinden.
Es arbeitete fieberhaft in seinem Kopf. Seine Schwester musste jeden Moment eintreffen, und ihre Ankunft konnte das Kräftespiel so weit verschieben, dass er den Hals aus der Schlinge ziehen konnte, die sein Vater immer enger zog. Und danach wäre bald mit dem Einsatzkommando der Staatssicherheit zu rechnen.
Er fühlte sich wie in einem Schraubstock, der ihm immer unerbittlicher den Brustkorb zusammendrückte.
Er sah seinen Vater an. Gib ihm ausweichende Antworten, dachte er. »Wie kann ich dir trauen?«
Peter Curtin lächelte. »Was? Du vertraust nicht dem Ehrenwort deines eigenen Vaters?«
»Ich traue dem Wort eines Mörders nicht. Denn das ist alles, was du bist. Ich mag mit Fragen hergekommen sein, aber du hast sie mir beantwortet. Jetzt brauche ich mir nur noch selbst ein paar Antworten zu geben.«
»Macht das nicht das Leben aus?«, entgegnete Curtin. »Und wer wüsste mehr über das Spiel von Leben und Tod als ich?«
»Vielleicht ich«, antwortete Jeffrey. »Und vielleicht weiß ich, dass es kein Spiel ist.«
»Nicht? Jeffrey, jetzt verwunderst du mich aber. Es ist das faszinierendste Spiel überhaupt.«
»Weshalb solltest du dann bereit sein, es heute Abend aufzugeben? Wenn ich, wie du behauptest, nichts weiter zu tun brauche, als einer Frau, die mir vollkommen fremd ist, eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, wirst du dich mir dann wirklich beugen und akzeptieren, was ich für dich entscheide?Ich glaube nicht. Ich glaube, du lügst.. Ich glaube, du spielst falsch. Ich glaube, du verfolgst heute Abend nur eine einzige Absicht, nämlich mich zu töten. Und woher soll ich wissen, ob Kimberly Lewis überhaupt noch am Leben ist? Du könntest mit diesem kleinen Babyphone da jedes Mal ein Tonband abspielen. Vielleicht hast du sie längst wie all die anderen irgendwo wie Müll entsorgt, und sie liegt mit gespreizten Armen und Beinen irgendwo im Wald, wo sie niemand findet …«
Curtin hob blitzschnell die Hand, und in seinem Gesicht zuckte für einen Moment ein Anflug von Ärger auf. »Ich habe sie nie einfach entsorgt! So war es nie geplant.«
»Geplant? Klar doch«, konterte Jeffrey sarkastisch. »Der Plan war, sie erst mit Genuss zu vögeln und dann zu töten, genau wie jeder andere kranke …«
Curtin schnitt energisch mit den flachen Händen durch die Luft. Jeffrey rechnete mit einer wütenden Antwort seines Vaters, doch was er zu hören bekam, wurde im kältesten, berechnendsten Ton gesprochen.
»Ich hätte mehr von dir erwartet«, erklärte Curtin. »Ich hätte dich für
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