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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Was wird’s denn diese Woche? Was Literarisches oder was zum Rechnen?«
    »Was Literarisches«, berichtete sie. »Ich hab ein halbes Dutzend Schlüsselbegriffe aus berühmten Shakespeare-Passagen in einem Dialog zwischen Liebenden zusammengebraut.«
    »In dem zum Beispiel jemand so dahinsagt: ›Das mag ja seinoder auch nicht‹, und die Stelle, die man rausfinden muss, ist ›Sein oder Nichtsein‹?«
    »Ja«, antwortete sie. »Nur dass dieses Beispiel für meine Leserschaft viel zu einfach wäre.«
    Der Redakteur lächelte. »Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil’ und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden oder …‹ … wie geht’s weiter? Ich knack sie nie, ehrlich gesagt.«
    »Nie?«
    »Nie.« Er lächelte immer noch. »Zu dämlich. Zu ungebildet. Und viel zu ungeduldig. Meine Aufmerksamkeitsspanne reicht nicht aus. Sollte vielleicht was dafür einnehmen. Ich schaffe es einfach nicht, mich so wie du hinzusetzen und es auszuknobeln. Schlichtweg zu frustrierend.«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Nun ja«, meinte er achselzuckend. »Bleib einfach nicht zu lang. Dieses Jahr ist bei uns immerhin noch niemand vergewaltigt oder ermordet worden, zumindest, soweit wir wissen, und die Geschäftsleitung möchte, dass es so bleibt. Wenn du fertig bist, schick ’ne elektronische Nachricht mit ’ner Kopie, damit die Setzer es nicht wieder vermasseln. Letzte Woche haben sie drei Korrekturen übersehen, die wir noch ziemlich spät rübergeschickt haben.«
    »Mach ich, aber weißt du was? Die Jungs mögen mich. Sie sind mir nie persönlich begegnet, aber sie scheinen mich zu mögen. Ich bekomme ständig kleine Liebesbriefchen per E-Mail.«
    »Das liegt an deinem Pseudonym. Geheimnisvoll. Ein Hauch orientalischer Exotik. Verschleiert und schwer zu fassen. Erinnert an unwiederbringliche Dinge aus der Vergangenheit. Sehr sexy, Mata Hari.«
    Susan nahm eine Lesebrille von ihrem Schreibtisch, die sie nur gelegentlich brauchte. Sie schob sie sich auf die Nasenspitze.»Da«, sagte sie. »Mehr Fräulein Lehrerin als Spionin, meinst du nicht?«
    Der Redakteur lachte und winkte ihr im Hinausgehen noch einmal zu.
    Wenige Minuten später steckte der Wachmann den Kopf zu ihrer Kabine herein. »Sie machen Überstunden?«, fragte er in ungläubigem Ton.
    »Ja, aber nicht mehr lange. Ich melde mich, wenn ich Geleitschutz brauche.«
    »Wir haben um sieben Feierabend«, erklärte er. »Danach ist nur noch der Nachtwächter da. Und der hat keine Geleitschutzlizenz. Außerdem wird er Sie wahrscheinlich erschießen, sobald Sie aus dem Fahrstuhl steigen, weil er sich vor Angst in die Hosen macht, wenn er merkt, dass außer ihm noch jemand im Gebäude ist.«
    »Ich bleib nicht mehr lang. Und ich sage ihm Bescheid, bevor ich runterkomme.«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Es geht um Ihren Hals«, meinte er und ging.
    Man kann nicht mehr allein sein, dachte sie, es ist nicht mehr sicher.
    Und wer allein sein will, macht sich verdächtig.
    Wieder sah sie aus dem Fenster. Der allabendliche Verkehrsstillstand ballte sich gerade an den Stellen zusammen, an denen sich die endlosen Autoschlangen trafen. Der Pendlerverkehr erinnerte sie an Szenen aus alten Western, wo die Rinderherden mitten im Viehtrieb zur Schlachtbank im Norden plötzlich erschraken, so dass die Wogen dichtgedrängter, muhender Tiere urplötzlich in Panik ausbrachen und über die weiten Ebenen galoppierten, während die Cowboys in dieser heroischen Geschichtsverzerrung sich mühten, sie wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie sah zu den Polizeihubschraubernam Himmel auf, die über dem Chaos kreisten und wie Aasgeier nach Kadavern Ausschau zu halten schienen. Hinter ihr ertönte ein klingelndes Geräusch, das vom Schließen der Fahrstuhltüren stammte.
    Die plötzliche Stille im Büro schlug ihr entgegen wie eine Meeresbrise. Sie nahm einen Notizblock und schrieb an den oberen Rand:
Ich habe dich gefunden
.
    Wieder zuckte sie unter den Worten zusammen. Sie biss sich fest auf die Unterlippe und machte sich daran, eine Antwort zu formulieren. Dabei wollte sie ihre Botschaft so verschlüsseln, dass sie ihm eine Reaktion entlockte, die ihr erste Hinweise auf den anonymen Briefschreiber gab und ihr dabei half, im Kopf ein Bild von der Person zu entwerfen, die sie gefunden hatte.
     
    Susan Clayton hatte sich wie ihr älterer Bruder ihren athletischen Körper bewahrt. Ihr eigener Lieblingssport war Kunstspringen gewesen; sie hatte das Gefühl genossen, dort oben auf dem

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