Das Rätsel
dachte sie: Immer noch zu weit. Bei unter zwanzig: Jetzt kann ich dich erreichen. Sie fing an, die leichte Rute wie einen Zauberstab durch die Luft zu schwingen, so dass ein leises Zischen zu hören war, als die Fliegenschnur über ihrem Kopf einen großen Bogen beschrieb. Doch sie zwang sich, noch ein paar Sekunden zu warten.
Der Fisch war fünfzehn Meter entfernt, als sie die Leine mit einem leichten Seufzen über das Wasser schwang und beobachtete, wie sie sich streckte und schließlich niederging, so dass der Krabbenköder weniger als einen Meter vor dem Maul des Tarpuns auf die Oberfläche traf.
Der Fisch machte ohne zu zögern einen Satz nach vorne.
Der plötzliche Vorstoß erstaunte sie, und ihr entwich ein kurzer Überraschungsschrei. Der Fisch würde den Haken nicht sofort spüren; sie schluckte schwer und wartete, während sich die Leine in ihren Händen straffte. Dann zog sie die Schnur mit einem lauten Schrei zurück, indem sie die Angelrute links von sich nach hinten schnellen ließ, in die entgegengesetzte Richtung vom Fisch. Sie spürte, wie der Haken griff.
Das Wasser explodierte vor ihren Augen in einer silberweißen Gischt.
Der Fisch bäumte sich einmal heftig gegen die Beleidigung des Hakens auf, und sie sah den offenen Schlund. Dann drehte er ab und eilte davon, um tiefere Strömungen zu erreichen. Sie hielt die Rute über dem Kopf wie ein Priester den Kelch, und die Winde kreischte, als meterweise, dünne weiße Angelleine herunterfloss.
Während sie die Spitze immer noch in die Höhe hielt, gelang es ihr, sich ans hintere Ende des Skiffs zu bewegen und das Tau zu lösen, mit dem sie das Boot an den Staken gebunden hatte. Es war nun nicht mehr verankert.
Sie sah, dass der Fisch jeden Moment fast die gesamte Schnur abgewickelt haben würde. Er würde vorwärtsdrängen und entweder den Haken ausreißen oder die Schnur zertrennen oder einfach nur die ganzen zweihundertfünfzig Meter Leine an sich reißen. In diesem Fall wäre er auf und davon – ein wenig wund ums Maul, aber sonst kaum in Mitleidenschaft gezogen; es sei denn, sie schaffte es, ihn irgendwie umzudrehen. Sie glaubte zwar nicht, dass ihr das gelang, doch wenn der Fisch das Boot durchs Wasser zog, statt gegen den Anker anzukämpfen, dann war es immerhin denkbar, dass er kurz innehielt und kämpfte.
Susan fühlte, wie die Energie des Tarpuns durch die Rute pulsierte, und sie machte sich keine Hoffnung, doch selbst in einer aussichtslosen Lage, dachte sie, sollte man sein Bestes geben, um sich wenigstens im Moment der Niederlage damit zu trösten, dass man alles darangesetzt hatte.
Der Bug des Bootes hatte sich gedreht und folgte dem Fisch. Immer noch nackt und schweißgebadet stellte sie sich wieder auf den Bug. Sie sah, dass die Schnur auf der Winde abgespult war und dachte: An dieser Stelle verliere ich den Kampf.
Doch zu ihrer Überraschung drehte der Fisch in diesem Moment den Kopf zu ihr herum.
In der Ferne sah sie einen riesigen Geysir, als sich der Tarpun in die Höhe warf, für einen Moment in der Luft hing und sich in der Sonne wand, bevor er in einer schäumenden Wolke wieder landete.
Sie hörte noch einmal ihren eigenen Schrei – nicht aus Überraschung, sondern aus Bewunderung.
Der Tarpun sprang weiter; in seinem Kampf gegen den Haken drehte er sich in Spiralen und schlug Purzelbäume.
Für Sekunden kostete sie den Rausch der Hoffnung aus, dann gab sie den Gedanken ebenso schnell wieder auf: Es ist ein starker Fisch, und ich habe eigentlich nicht das Recht, ihn so lange festzuhalten. Sie lehnte sich zurück, zog an der Angel, um etwas Schnur zurückzugewinnen, und betete, dass der Fisch nicht einfach wieder losstürmen würde, denn dann wäre der Kampf vorbei.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie beide in diesem Patt verharrten – die nackte junge Frau an Deck des Bootes, die vor Anstrengung ächzte, und der silbrige Fisch, der in einer Explosion nach der anderen zappelnd in die Höhe schoss. Susan kämpfte, als seien sie beide ganz allein auf der Welt, parierte jeden Ruck an der Schnur, bis die Muskeln in ihren Armen sich vor Schmerzen wehrten und sie fürchten musste, Krämpfe in den Händen zu bekommen. Der Schweiß brannte ihr in den Augen; sie überlegte, ob der Kampf schon eine Viertelstunde währte; dann schien es ihr eher wie eine Stunde, vielleicht sogar zwei. Erschöpft korrigierte sie ihre Schätzung nach unten.
Sie seufzte tief und kämpfte weiter.
Susan spürte, wie die Schnur auf
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