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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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dass die Nachricht erfolgreich versandt worden war, drehte sie sich in einer einzigen Bewegung auf dem Schreibtischstuhl um und packte die Automatik. Die Büros waren vollkommen still, und wieder redete sie sich gut zu, dass sie allein war.
    Doch es war nicht überzeugend. Vielmehr musste sie daran denken, dass Stille zuweilen so trügerisch wie ein Zerrspiegel sein konnte.
    Susan sah in die Überwachungskamera, die genau auf sie gerichtet war, und winkte dem Wachmann zu, der hoffentlich gut auf sie achtgab, und sammelte mit der freien Hand ihre Sachen zusammen.
    Sie stopfte alles in ihre Schultertasche und hängte sie sich um.Während sie aufstand, nahm sie die Pistole, packte sie schussbereit mit beiden Händen. Sie holte tief Luft, so wie es wohl ein Scharfschütze in dem Bruchteil von Sekunden tat, bevor er feuerte. Dann trat sie, stets mit dem Rücken zu einer Wand, vorsichtig den Heimweg an.

5. KAPITEL
Immer
     
    Keine Meile von dem Haus entfernt, das sie sich mit ihrer Mutter teilte, hatte Susan Clayton ihr Boot an einem alten, morschen Pier vertäut. Der schwankende Steg hing durch und wirkte, als müsste er beim nächsten kräftigen Wind samt Gewitter auseinanderfallen. Dabei hatte er, wie sie wusste, schon viel Schlimmeres überlebt, was sie ihm in einer Welt, in der nichts von Dauer war, hoch anrechnete. In ihren Augen war der Pier so wie die Keys, weil er seine Widerstandskraft unter scheinbarer Hinfälligkeit verbarg; es war so, wie es war, aber doch viel stärker, als es schien. Sie hoffte, dass dies auch auf sie selbst zutraf.
    Auch das Boot war nicht mehr auf dem neuesten Stand, doch tadellos in Schuss: ein sechs Meter langes Skiff für seichte Gewässer, das flach auf dem Wasser lag, in strahlendem Weiß. Sie hatte es von der Witwe eines ehemaligen Angelführers gekauft, der fern vom Wasser, auf dem er Jahrzehnte gearbeitet hatte, in einem Hospiz in Miami gestorben war – in einer von den Krankenanstalten, die sie für ihre Mutter nicht in Betracht gezogen hatte.
    Unter ihren Füßen knirschte bei jedem Schritt die Mischung aus Sand und ausgeblichenen Muscheln, die den Pfad zum Haus bedeckte. Sie liebte das vertraute Geräusch. Es war wenige Minuten vor Sonnenaufgang. Das Licht wirkte gelb, ein seltsamer Zwischenton, als zögerte es, die Dunkelheit zu entlassen.Was von der Nacht geblieben war, schien noch eine Weile im Wasser zu verharren, es schimmerte dunkelgrau. Sie wusste, dass es noch eine Stunde dauern würde, bis die Sonne auch den Ozean erfasste und die seichten Kanäle und Untiefen der Keys in eine schillernde Palette fließender Blautöne verwandelte.
    Susan zog gegen die feuchtkühle Luft die Schultern hoch; sie wusste, dass sie die frische Temperatur nur der Tageszeit verdankte und dass sie keine Erleichterung versprach von der drückenden Hitze, die der Vormittag bald mit sich bringen würde. In Südflorida war es jetzt immer heiß, eine konstante, schwüle Wärme, die über weite Flächen heftige Unwetter ausbrütete und die Menschen in ihre geschützten Kokons mit Klimaanlagen trieb. Als Kind konnte sie tatsächlich den Wechsel der Jahreszeiten spüren, natürlich nicht so wie im Nordosten, wo sie geboren war, oder noch weiter oben in den Bergen, von denen ihre Mutter so sehnsüchtig erzählte, seit sie im Sterben lag. Woran Susan sich erinnern konnte, war das Gespür für die winzigsten Veränderungen, die es auch im Süden gab – die weniger brütende Sonne, den Anflug einer Brise, die ihr sagten, dass ein Wechsel bevorstand. Doch in den letzten Jahren schien selbst dieser geringfügige Wandel verschwunden zu sein – ein Opfer des nicht endenden globalen Klimawandels.
    Die schmale Bucht zu den ausgedehnten, seichten Gewässern war leer. Ihr Skiff lag an der Seite des Stegs, die Bug- und Heckleinen fielen in schlaffen Schlingen auf das im Morgentau glänzende Deck. Der große, zweihundert PS starke Motor fing die ersten Sonnenstrahlen ein. Sie betrachtete das Boot und fand, dass es Ähnlichkeit mit der starken Rechten eines Boxers hatte – reglos, doch zur Faust geballt, jederzeit bereit, vorzuschnellen.
    Sie näherte sich dem Skiff wie einem Freund.
    »Ich muss fliegen«, begrüßte sie das Boot. »Heute brauche ich Tempo!«
    Zügig verstaute sie ein Paar Angeln in ihren Halterungen unter dem Dollbord. Bei der einen handelte es sich um eine kurze Spinnrute, die sie wegen ihres praktischen Nutzens und der einfachen Handhabung mitgebracht hatte, bei der anderen, längeren um eine

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