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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Fliegenangel, die sie sich als Luxus gönnte. Sie überprüfte noch einmal den Staken an den einziehbaren Halterungen an Deck – aus Grafit gefertigt und mit seinen knapp sechs Metern fast so lang wie das Boot selbst. Dann ging sie wie ein Pilot in den Minuten vor dem Start noch einmal die Checkliste der Sicherheitsvorkehrungen durch.
    Als sie sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, löste sie die Leinen am Steg, stieß sich ab und drückte den elektrischen Kippschalter herunter, um das Heckwerk des Motors mit einem schrillen, kreischenden Geräusch ins Wasser zu senken. Sie machte es sich auf ihrem Sitz bequem und tastete unwillkürlich nach der Schaltung, um sicherzugehen, dass sie im Leerlauf war, dann startete sie den Motor. Er rasselte einmal laut, als schüttelte man eine Dose voller Steine, dann sprang er mit einem angenehmen Gurgeln an. Sie ließ das Skiff sacht in die Mündung gleiten, so dass es durchs Wasser schnitt wie die Klingen einer Schere durch fließende Seide. Sie griff in ein kleines Fach, holte ein Paar Ohrenschützer heraus und klemmte sie sich auf den Kopf.
    Als das Skiff das Ende der Fahrrinne erreicht und das letzte Haus passiert hatte, drückte sie den Gashebel nach vorn und riss für einen Moment den Bug in die Höhe, während der Motor hinter ihr freudig gluckste. Ebenso schnell, wie er sich gehoben hatte, glitt der Bug zurück ins Wasser, das Skiffmachte einen Satz nach vorn und sauste plan über die tintenblaue Fläche. Im selben Moment hatte sie die Geschwindigkeit ganz und gar erfasst. Sie hielt das Gesicht in den Wind, der ihre Wangen aufblähte, als sie nach der Morgenfrische schnappte; die Ohrenschützer dämpften den Motorenlärm zu einem dumpfen, verführerischen Trommelwirbel in ihrem Rücken.
    Irgendwann einmal, dachte sie, würde sie den Morgen überholen.
    Zu ihrer Rechten sah sie im morastigen Grund einer kleinen Mangroveninsel ein Paar strahlend weiße Reiher auf der Jagd nach Brassen, deren unansehnlich dünne Beine sich übertrieben vorsichtig bewegten wie ein Tänzerpaar, das aus dem Takt gekommen ist. Vor ihr flatterte ein Vogel auf, und sie erhaschte einen Blick auf einen Silberlachs, der aus dem Wasser sprang. Ihre Hände lagen sacht auf dem Steuer, und das Skiff brauste davon, immer weiter vom Küstenstreifen weg, während es zwischen den grünen, üppig wuchernden Inseln durchs Wasser pflügte.
    Fast eine halbe Stunde lang fuhr Susan mit Höchstgeschwindigkeit, dann erst war sie sicher, so weit in die Bruthitze vorgedrungen zu sein, dass sie jede Menschenseele weit hinter sich gelassen hatte. Sie war nahe der Stelle, an der die Florida Bay an die Everglades grenzt. Dies war ein zwiespältiger Ort, der sich nicht entscheiden konnte, ob er zum Meer oder zum Land gehörte, ein Labyrinth aus Kanälen und Inseln. Wer hier nicht zu Hause war, konnte sich leicht verirren.
    Susan dachte an die leeren Flecken, an denen Himmel, Mangroven und Wasser zu einer Welt der Vorzeit verschmolzen. An dieser Welt waren alle Spuren der Moderne vorübergegangen, und das Leben verlief seit Äonen in denselben Bahnen.
    Sie drosselte das Tempo, und das Skiff wurde langsamer wie ein Pferd, das plötzlich die Zügel spürt. Sie schaltete den Motor aus und glitt geräuschlos weiter über das Wasser, das sich unter dem Bug veränderte, sowie das Boot an den Rand einer weiten, seichten Fläche glitt, die sich über eine Meile entlang einer flachen Mangroveninsel erstreckte. Aus den knorrigen Zweigen am Ufer erhob sich ein Schwarm Kormorane. Vielleicht zwanzig Vögel auf einmal, deren schwarze Gestalten im Licht des frühen Morgens scharf vom Himmel abstachen, als sie in einer Spirale die Flucht ergriffen.
    Susan stand auf, nahm die Ohrenschützer ab und suchte die Wasserfläche ab, bevor sie den Blick zum Himmel hob. Die Sonne stand schon hoch; die durchdringende, glitzernde Klarheit, mit der sie rund um das Skiff aufs Wasser traf, tat beinahe weh. Susan spürte die pralle Hitze im Nacken wie den Griff einer kräftigen Hand.
    Sie zog eine Plastikflasche Sonnenschutzmilch aus einem Fach unter der Schaltkonsole und schmierte sie sich reichlich auf den Hals. Sie trug einen khakifarbenen Baumwolloverall, eine Mechanikerkluft, die sie an der Brust aufknöpfte und herunterfallen ließ, so dass sie nackt dastand. Sie trat aus dem Kleiderhaufen und ließ die Sonne wie einen gierigen Lieb haber nach ihr greifen, sie genoss das Brennen auf den Brüsten wie zwischen den Beinen und die

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