Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Rätsel

Titel: Das Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
voller Länge bis in die Rute hinein plötzlich erbebte, und sah zugleich eine zweite weiße Fontäne und einen silbernen Fisch in der Ferne.
    Auf einmal erschlaffte die Schnur, und die Rute, die zu einemzitternden C verbogen war, streckte sich mit einem Schlag. Susan schnappte nach Luft.
    »Verdammt!«, fluchte sie. »Er ist weg!«
    Es dauerte keine Sekunde, und sie erkannte:
Nein
.
    Und dann die alarmierende Gewissheit:
Er schwimmt zu mir zurück
.
    Ihre linke Hand an der Winde war vor Krämpfen wie taub. Sie schlug sich dreimal an den Schenkel, um die Starre zu lösen, dann fing sie an, wie verrückt die schlaffe Schnur aufzurollen. Fünfzig Meter waren eingeholt, dann hundert. Sie hob den Kopf und sah den Fisch in ihre Richtung schwimmen, bevor sie weiter die Spule traktierte.
    Er war auf vielleicht fünfundsiebzig Meter herangekommen, als sie endlich die zweite Gestalt sah, die ihn jagte. Im selben Moment verstand sie, weshalb der Tarpun zum Boot zurückschwamm. Sie merkte, wie sie eine eisige Ruhe erfasste, als sie die Größe des dunklen Flecks im Wasser abschätzte – etwa zweimal so groß wie ihr Fisch an der Angel. Es war, als hätte jemand schwarze Tusche auf die vollkommene Landschaft eines alten Meisters geworfen.
    In Panik stieg der Tarpun erneut in die Luft und hing – knapp zwei Meter – im blauen Himmel über dem unglaublich blauen Wasser.
    Sie hielt beim Aufspulen inne und starrte reglos über den Bug.
    Die dunkle Gestalt kam unaufhaltsam näher, und für eine Sekunde schien das unberührte Silber des Fischs mit dem Schwarz des Hammerhais zu verschmelzen. Eine zweite Explosion auf der Oberfläche, noch eine Fontäne in der Luft, dann weißer Schaum vermischt mit rotem Blut.
    Sie senkte die Rute, und die Schnur hing schlaff von der Spitze.
    Im Wasser brodelte es weiter wie in einem Kochtopf, der auf der Herdplatte vergessen steht. Ebenso schnell kehrte Ruhe ein, und sie starrte auf eine ölig glitschige Wasserfläche. Sie hielt sich die Hand über die Augen, erhaschte jedoch nur einen kurzen Blick auf das dunkle Etwas, das ins tiefere Wasser zurückschwamm – ein böser Schatten, der für einen Moment eine Feier stört und wieder verschwindet. Sie stand weiter keuchend am Bug und fühlte sich, als wäre sie Zeuge eines Mordes geworden.
    Irgendwann machte sie sich daran, die Schnur ganz einzuholen. Sie spürte ein gewisses Gewicht an dem Ende, das sie durchs Wasser zog, und konnte sich denken, was es war. Der Hammerhai hatte den Tarpun durchtrennt, so dass der Kopf und etwa dreißig Zentimeter Körpermasse noch am Haken hingen. Sie holte die schaurige Trophäe ein. An einer Seite des Skiffs beugte sie sich herunter, um den Haken aus dem zähen Maul des Fischs zu lösen. Doch sie brachte es nicht fertig, ihn anzurühren. Sie kehrte zu der Konsole zurück und fand ein Filettiermesser mit einer dünnen Klinge, das sie benutzte, um die Schnur durchzuschneiden. Für Sekunden sah sie noch Kopf und Rumpfstück des Tarpuns versinken, dann war er verschwunden.
    »Es tut mir leid, Fisch«, sagte sie laut. »Hätte mich nicht so der Ehrgeiz gepackt, wärst du noch am Leben. Ich hatte nicht das Recht, dich zu fangen und zu erschöpfen. Ich hatte von Anfang an nicht das Recht, mich mit dir zu messen. Wieso hast du den verdammten Haken nicht einfach abgeschüttelt? Oder abgebrochen? Du warst stark genug. Wieso hast du nicht getan, wozu du fähig gewesen wärst, statt zur leichten Beute zu werden? Ich hab dir auch noch dabei geholfen, und es tut mir aufrichtig leid, Fisch. Es war meine Schuld, und du hast es nicht verdient.«
    Ich habe kein Glück, dachte sie. Hatte ich noch nie.
    Plötzlich packte sie die Angst, und sie verdrängte mit aller Macht das Bild ihrer eigenen Mutter. Susan schüttelte energisch den Kopf und holte tief Luft. Plötzlich schämte sie sich für ihre Nacktheit. Sie stand auf und suchte den leeren Horizont ab, als fürchtete sie, irgendwo in der Ferne stünde jemand mit einem starken Fernglas und beobachtete sie. Sie wusste, das war verrückt – die Sonne, die Erschöpfung und die Enttäuschung über den Ausgang des Kampfes hatten sich verschworen, sie aus der Fassung zu bringen. Dennoch bückte sie sich nach dem Overall an Deck, hob ihn auf und hielt ihn sich vor die Brust, während sie über die Weite des Wassers blickte. Da draußen, wo du sie nicht sehen kannst, lauern immer die Haie, sagte sie sich, und die Signale eines Kampfes locken sie unweigerlich an. Sie haben einen sechsten

Weitere Kostenlose Bücher