Das Regenbogenschwert: Die Legende von Hawk und Fisher (Dämonenkrieg) (German Edition)
eine Antwort wartete, wandte Julia ihre Aufmerksamkeit der Burganlage zu.
„Übermäßig groß ist sie ja nicht“, sagte sie.
Rupert lächelte. Er musste zugeben, dass die Waldburg auf den ersten Blick nicht gerade imposant wirkte. Das von Wind und Regen erodierte Mauerwerk war rissig, die hohen, mit Zinnen geschmückten Türme sahen schief und mitgenommen aus, und dennoch rührten die vertrauten, bröckeligen Wehrgänge und die efeuumrankten Wälle sein Herz. Die Burg hatte Angriffen und Seuchen getrotzt, Finsternis und Verfall, hatte getreulich Wache über das Reich und seine Vorfahren gehalten. Vierzehn Generationen der Waldlinie waren innerhalb dieser Mauern großgezogen worden, vierzehn Generationen im Amt. Rupert seufzte. Manchmal lastete die Vergangenheit schwer auf seinen Schultern, und obwohl er die meiste Zeit seines jungen Lebens gebetet hatte, der Enge dieser Burg entfliehen zu können, war sie letztlich doch sein Zuhause, auf das er sich freute.
„Die Burg macht wesentlich mehr her, wenn du sie von innen siehst“, versicherte er Julia.
„Das hoffe ich“, sagte Julia.
„Wir haben vier separate Flügel mit je tausend Räumen, zwölf Bankett- und drei Ballsäle, dazu die Unterkünfte der Wachen und Diener, Ställe, den Hof …“
Julia starrte die bescheidene Anlage an, die höchstens hundert Meter breit und nicht mal dreißig Meter hoch war. „Das alles habt ihr? Da drin?“
„Ah“, sagte Rupert lässig. „Die Burg ist innen größer als außen.“
„Wie ist das passiert?“
„Architektenpfusch“, grinste Rupert.
„Tausend Zimmer in einem Flügel“, brummte die Prinzessin. „Wie heizt ihr die bloß alle?“
„Die meisten gar nicht“, gab Rupert zu. „Ich hoffe, du hast Thermounterwäsche dabei.“
„Wie viele Räume habt ihr?“
„Das wissen wir nicht genau“, sagte Rupert, der allmählich bereute, das Thema angeschnitten zu haben. „Manche Zimmer sind nur an bestimmten Tagen da, und kein Mensch kann den Südflügel wieder aufspüren, seit er uns vor zweiunddreißig Jahren verlorenging. Im Herbst sind es im Schnitt fünftausendzweihundertvierzehn Räume. Glaube ich. Aber keine Sorge; wenn du die Hauptkorridore nicht verlässt, bist du vollkommen sicher.“
Ein heiserer Ruf vom Torhaus ersparte ihm Julias Antwort.
„He! Ihr da am Burggraben! Verschwindet, oder die Jungs und ich benutzen euch als Zielscheiben!“
Rupert blickte wütend zu den im Schatten liegenden Schießscharten über dem Falltor. Sobald er drinnen war, würde er sich den Wachoffizier mal vorknöpfen. Zweifellos würde regelrecht Panik im Bergfried ausbrechen, wenn sie erst seine Stimme erkannten.
„Lass die Zugbrücke herunter, Bursche!“, rief er selbstbewusst und nahm eine königliche Pose ein.
„Haut ab“, lautete die Antwort. Das Einhorn kicherte hörbar. Ruperts Hand fuhr zum Schwertknauf.
„Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast?“, fragte er angespannt.
„Nein“, erklärte die Stimme, „und ich will es auch nicht wissen!“
„Ich bin Prinz Rupert!“
„Nein, bist du nicht“, sagte die Stimme.
„Bist du sicher, dass du die richtige Burg erwischt hast?“, erkundigte sich Julia zuckersüß.
„Leider ja“, sagte das Einhorn. „Nun weißt du, warum wir so gern unterwegs sind.“
„Ich sage euch, ich bin der Prinz!“, heulte Rupert, dem die Diskussion im Hinblick auf Julia äußerst peinlich war.
„Willst du uns verarschen?“, fragte die Stimme. „Jeder weiß, dass Rupert auszog, um einen Drachen zu töten, und seitdem verschollen ist. Der kommt nicht mehr lebend wieder. Nun haut endlich ab, ihr Landstreicher, oder wir spannen unsere Bogen, und die Hunde kriegen ihr Abendessen früher als gewohnt!“
„Landstreicher!“, schrie Rupert. „Ich bringe ihn um. Ich bringe sie alle um!“
„Immer langsam“, besänftigte ihn Julia und umklammerte Ruperts Arm, ehe er das Schwert ziehen konnte. „Weißt du, ich kann ihn verstehen; wir sind nicht gerade wie Hochadel gekleidet.“
Rupert warf einen Blick auf ihre schmutzigen, abgerissenen Reisegewänder. Zorn stieg in ihm auf.
„Wache! Das ist deine letzte Chance.“
„Bist du immer noch da?“
Rupert stand kurz vor der Explosion, als hinter ihm eine besonnene, sehr laute Stimme ertönte: „Nicht aufgeben, Prinz Rupert; ich kümmere mich um ihn.“
Es entstand eine Pause. Dann brach ein zehn Meter langer, missmutiger Drache aus dem Gehölz, in seinem Sog Blätter und abgebrochene Zweige, die auf Rupert, Julia
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