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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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klischeehaften Tatsache, dass sie eines Tages Max' Sakkos aus
der Reinigung holte und die Angestellte ihr nicht nur lächelnd die
Kleidungsstücke übergab, sondern auch das Foto eines kleinen Mädchens, das mit
Max' Augen in die Kamera strahlte. »Das ist wohl Ihre Kleine«, sagte die Frau
und hörte nicht auf zu lächeln. »Ein süßes Ding. Meine Enkelin ist auch so alt.
War in einer der Sakkotaschen. Ich hab mir gedacht, Sie würden es vermissen,
darum habe ich's nicht weggeworfen.« Franza starrte abwechselnd das Foto und
die Frau hinter dem Tresen an, die langsam und etwas verunsichert aufhörte zu
lächeln, packte das Bild schließlich in die Tragetüte zu den Sakkos, sagte »Ja.
Vielen Dank«, bezahlte, rannte hinaus auf die Straße, sprang ins Auto und fuhr
zwei Stunden lang ziellos durch die Stadt. So war das gewesen.
    Sie hatte ihn nicht zur Rede gestellt. Sie war heim, hatte
ihm schweigend das Foto hingelegt und sich mit einer Tasse Kaffee in ihr
Arbeitszimmer verzogen. Es dauerte eine Stunde, ehe er sich zu ihr wagte. Sie
saßen einander gegenüber, schauten sich an, sagten kein Wort. Er strich ihr
eine Haarsträhne aus der Stirn, sie hielt seine Hand fest und drückte ihre
Lippen darauf.
    Es war ein Abschied, sie wussten es beide, anfangs schien
er leicht. Der Schmerz kam später. In der Nacht, gegen Morgen. Sie zog ins
Arbeitszimmer, schlief lange nicht mit ihm. Er fuhr einmal im Jahr für eine
Woche nach Schweden. Sie nahm sich Liebhaber von Zeit zu Zeit.
    »Ach, da fällt mir ein, er hat angerufen heute Morgen.«
    Max Stimme kam quer durch den Garten. Franza drehte sich
um.
    »Wer?«
    Max blickte kurz hoch, während er die Hühnerschenkel auf
dem Grill wendete. »Na, Ben natürlich. Von wem sprechen wir denn?«
    »Und?«, fragte Franza und ging zurück auf die Terrasse.
    »Ja, ich weiß nicht, wir haben nur kurz geredet, ich hatte
keine Zeit, hatte einen Patienten auf dem Stuhl. Er meinte, er wäre einige Tage
unterwegs, wir sollten uns keine Sorgen machen. Wenn er wieder da wäre, würde
er uns alles erklären, dann hätte er eine nette Überraschung für uns, die uns
freuen würde. So ähnlich. Es klang vielversprechend. Als hätte er eine
Entscheidung getroffen.« Franza nippte vom Wein und schaute auf das Fleisch,
das auf dem Grill schon viel zu lange vor sich hin schmorte. Es würde trocken
sein. Also so, wie sie beide es mochten. Eine der wenigen Übereinstimmungen in
ihren Vorlieben. »Ja?«
    »Ja. Absolut.«
    Max hievte die fertig gebratenen Stücke auf zwei Teller
und stellte sie auf den Tisch, einen auf Franzas Platz, den anderen auf seinen.
»Komm, lass uns essen. Nimmst du Salat?«
    Er nahm das Ketchup, drückte einen großen Klecks auf sein
Huhn und sah zufrieden aus.
    Franza schüttelte sich innerlich und spürte, wie der
Hunger schwand. »Hm!«, machte sie.
    Max nahm einen großen Schluck Wein und lehnte sich wohlig
seufzend in seinem Stuhl zurück. Auf der Terrasse waren sie vor dem Wind
geschützt, der in einer leichten Brise durch den Garten zog, die Mauer jedoch,
die sie im Rücken hatten, gab nun die Sonne ab, die sie am Tag gespeichert
hatte.
    »Herrlich, diese Sommerabende. Wenn es geregnet hat. Wie
gut es riecht!«
    Franza nickte. »Schmeckt es dir?«
    Sie nickte wieder. »Ja. Ausgezeichnet.«
    Er drückte kurz ihre Hand. Vermutlich werde ich auf diese
Weise alt werden, dachte sie. Und mit achtzig werden wir uns auch noch die
Schlacht liefern, wer das Ketchup von der Tankstelle holt.
    Im Garten zirpten Grillen, allmählich wurde es dunkel.
    »Woran denkst du?«, fragte er.
    »Ein Mädchen ist ermordet worden«, sagte sie.
    Er fragte nicht weiter, irgendwann hatten ihre Fälle
aufgehört, ihn zu interessieren. Sie waren alle gleich für ihn. Er konnte nicht
verstehen, was für sie das Grundgesetz ihres Berufes war, nämlich, dass der
Tod, wenn er kam, immer neu und immer anders war.
    Sie wusste das und empfand plötzlich Zärtlichkeit für ihn,
weil ihm dieses große Wissen fehlte. Sie schaute ihn an und bemerkte, dass sein
Haar schütter wurde und seine Schultern nach vorne fielen. Einem Impuls
folgend, hob sie die Hand und strich ihm leicht über die Wange. Während er sie
überrascht anblickte, dachte sie an ihren Liebhaber und seinen Regisseur und an
das Mädchen und an die Tränen, die sie noch nicht geweint hatte, und sehnte
sich nach Ports Schulter. Sie lächelte.
    »Er hat dich übrigens auch angerufen, aber du hattest dein
Handy ausgeschaltet«, sagte Max.

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