Das Regenmaedchen
»Ins Kalte! Niemals!«
Er wehrte sich. Sie rangelten. »Lass!«, sagte er. »Viel zu
kalt.«
»Na und?«, sagte sie und tat siegessicher. »Wir sind doch
warm angezogen!«
Dann zog und schob sie und dann hatte sie ihn drin und es
war so kalt, wie er es erwartet hatte, und er schrie und sie lachte: »Du
Frosch!«
Auf dem Hügel wogte sacht das gelbe Meer des Weizens, zog
sich bis weit herunter ans westliche Ufer. Als sie ihre Kleider zum Trocknen an
die Sträucher gehängt und die Schatten sich aufgelöst hatten in der schwarzen
Masse, die die Donau geworden war, schliefen sie miteinander. Ihre Haare fielen
ihm ins Gesicht. Er vergrub seine Nase darin, schloss die Augen und fiel hinein
in ihre Berührungen, die waren wie Schaum auf nächtlichem Wasser.
Das Blut auf den Steinen war das Blut des Mädchens, die
DNA-Analyse hatte das bestätigt. Außerdem waren ihre Spuren auch auf den gefundenen
Schuhen festgestellt worden.
»Also!«, sagte der Rechtsmediziner. »Wir haben eine junge
Frau, Anfang, Mitte zwanzig. Vor dem Unfall dürfte sie in einem guten
Allgemeinzustand gewesen sein, vielleicht etwas unterernährt, aber das ist ja
nichts Außergewöhnliches bei einer weiblichen Person dieses Alters.«
Er stoppte, zog seine Augenbrauen hoch, grinste anzüglich
und ließ seine Augen über Franzas zehn Kilo zu viel gleiten. Sie parierte es
mit einem gelassenen Lächeln. »Schau dich selber an, Borger.«
Er räusperte sich, tätschelte sein Bäuchlein und grinste
immer noch. »Wie du meinst, Franza, meine Liebe. Gehen wir nachher was essen?
Du weißt, ich liebe deine Hüften.«
Er wandte sich um und grinste Arthur an, den jungen
Kollegen, der sich diskret im Hintergrund hielt, nicht weil er von Natur aus
diskret war, sondern um von seinem grünen Gesicht abzulenken. »Sie müssen
wissen, ich liebe ihre Hüften!« Wohl oder übel grinste Arthur zurück, wusste
nicht recht, was er sagen sollte, druckste verlegen herum. Schließlich murmelte
er: »Sind auch hübsche Hüften«, und fluchte innerlich vor sich hin, weil er
spürte, dass er rot geworden war. Franza und Borger lachten, und Franza
bemerkte überrascht Borgers interessierten Blick, mit dem er Arthur musterte.
Sie war sicher, Arthur hatte diesen Blick auch bemerkt, vielleicht war er
deshalb rot geworden. Arthur war klug und konnte rasch Schlussfolgerungen
ziehen, er war einer, der Potential hatte und den sie, Franza und Herz, sich
als Nachfolger heranzogen. Als Nachfolger! Wie das klang! Als ob sie selbst
schon kurz vor dem Abtreten standen, vor der Rente, dabei hatten sie noch gut
zwanzig Jahre oder mehr! Aber so war das nun mal. Man musste sich gute Leute
heranziehen, man musste ihnen Zeit lassen, sich zu entfalten, ihre Instinkte zu
entwickeln und ihre Persönlichkeit. So etwas ging nicht von heute auf morgen,
das brauchte Zeit. Und Arthur war jemand, dem sie diese Zeit zugestanden, weil
sie viel von ihm erwarteten. Er war einer, der hungrig war und zäh und im
richtigen Moment über den richtigen Biss und außerdem noch über eine gewisse
Sensibilität verfügte, eine Kombination, die nicht selbstverständlich war.
»Also«, sagte Borger. »Essen oder essen?«
Er wandte sich an Arthur. »Sie sind selbstverständlich
auch eingeladen.« Seine Stimme vibrierte ein bisschen.
Franza schüttelte den Kopf und tippte sich an die Stirn.
»Wie kannst du in dieser Umgebung ans Essen denken!«
»Ach, weißt du«, sagte er, »seit du mich damals abgewiesen
und mir diesen Zahnklempner vorgezogen hast, denke ich immer ans Essen. In
Anbetracht dieser Kälte hier«, er wies um sich, »muss man bei Kräften bleiben.«
Sie nickte, lächelte, plötzlich war sie milde gestimmt. Insgeheim nannte sie
ihn Krawatten-Borger, weil sie ihn noch nie ohne Krawatte gesehen hatte. Jedes
Mal nahm sie sich vor, ihm beim nächsten Mal ein besonders schickes Exemplar
mitzubringen, aber immer vergaß sie es. Sie kannten sich seit ihrer
Studienzeit, für einige Monate hatten sie sogar im gleichen Studentenheim
gewohnt, sie mochten sich und ihr Geplänkel an den Totenbahren machte die Tode
erträglicher.
»Also gut«, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit
wieder der Toten zu, die auf einem Metalltisch in der Pathologie des
Krankenhauses lag. Sie wirkte fremd, fremder als auf der Autobahn, aber Franza
kannte dieses Phänomen. Wächsern lagen sie auf den Metalltischen im grellen
Licht, alle Farbe war aus ihnen gewichen, manche schimmerten grünlich. Oftmals
war dies der Ort, wo die
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