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Das Regenmaedchen

Das Regenmaedchen

Titel: Das Regenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabi Kreslehner
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ihr diese Augenblicke, alle ließen sie ihr, diese
Augenblicke zwischen den Himmeln, wenn sie fragte, was ist geschehen, und sie es
noch nicht sagten. Sie - die da lagen, verrenkt oder gerade, besudelt oder
gereinigt, immer aber angetan mit dem Tod, immer schweigend.
    »Sei gewappnet«, hatte Herz gesagt. »Sie ist jung.«
    Aber man war nie gewappnet, nie genug. Franza schüttelte
den Kopf, nein, nie genug, und spürte ein Seufzen, ein Schluchzen und schluckte
es zurück. Ich kann das nicht mehr, dachte sie. Ich kann das nicht mehr. Ich
bin zu alt. Ich brauche einen anderen Job.
    Sie dachte das jedes Mal, bevor sie vor die Toten trat,
ihnen in die Augen blickte und ihre Botschaften empfing. Und blieb dann. Und
ermittelte. Und klarte auf. Es war wie eine Sucht. Oder ein Auftrag.
    Das Mädchen lag am Rand der Fahrbahn auf dem
Wiesenstreifen, klein, dünn, ein Vögelchen, ein Bachstelzchen, heruntergefallen
vom Leben. Es hatte in ihr Gesicht geregnet, in ihre Augen hinein, die immer
noch geöffnet waren, Haselnüsse, braun. Es schien, als blickten sie hinein in
eine Weite, die endlos war, als hätten sie plötzlich ein Wissen in sich, das
keiner haben konnte, der noch von dieser Welt war.
    Das Haar war in einer Mischung von Blut, Regen und Schmutz
verklebt, unkenntlich die Farbe, ein dunkles Braun wahrscheinlich, an der
Grenze zum Schwarz. Eine Strähne lag quer über ihr Gesicht, schnitt es in zwei
Hälften. Vorsichtig schob Franza das Haar zurück, da wurden die beiden Hälften
wieder eins.
    Schlaf, dachte Franza, schlaf. Ruh dich aus, mein Mädchen,
meine Süße, und verharrte für den Bruchteil einer Sekunde über den offenen
Augen und schloss sie dann.
    Schließlich richtete sie sich auf und trat einen Schritt
zurück. Die Tote trug keine Schuhe, keine Strümpfe, das Kleid war
hochgeschoben. Im Übrigen musste es ein besonderes Kleid gewesen sein,
Pailletten und Perlenschnüre auf silbernem Stoff, ein kostbares Kleinod, nun
aber glimmte es nicht mehr, war zerstört und durchtränkt von Blut und Schmutz -
wie seine Trägerin.
    »Wir haben keinen Namen«, sagte Herz, der langsam
herangekommen war und die letzten Augenblicke schweigend neben Franza gestanden
hatte. »Sie trug keine Papiere bei sich, keine Tasche, keinen Rucksack, kein
Handy, nichts.«
    »Sie ist kaum älter als Ben«, sagte Franza. »Ich weiß«,
sagte Herz.
    Der Himmel war ein gedämpftes Blau, ein halbes Singen. Der
Regen hatte aufgehört.
     
    Marie am Straßenrand, Titten wie Honigmelonen.
    »Hei Benny!«, sagte sie, nachdem er gewendet und neben ihr
angehalten hatte. »Kann ich bei dir mitfahren?«
    Wenn sie lachte, Marie, mit offenem Mund, sah man einen
winzigen Mond, Silberschmuck auf dem Weiß ihrer Zähne.
    Sie fragte nach dem Besitzer des Autos. »Ist der
Zweitwagen meines Vaters«, sagte Ben. »Aber ich kann ihn haben, wenn er ihn
nicht braucht. Und er braucht ihn so gut wie nie, hat ja auch einen Erstwagen.«
Er grinste. »Toll!«, sagte sie. »Das eröffnet Möglichkeiten.«
    Er musterte sie kurz von der Seite und bemühte sich, den
Wagen auf der Straße zu halten. »Ja?«, fragte er. »Findest du?«
    »Ja«, sagte sie. »Finde ich.«
    Sie wandte ihr Gesicht ab, blickte hinaus auf die Straße,
lächelte ein bisschen und wippte den Takt des Songs mit, der das Auto so dicht
erfüllte, dass sonst nichts mehr Platz hatte.
    »Lass uns abhauen«, sagte sie endlich, aber so leise, dass
er es nicht verstand. Er drehte die Musik leiser. »Was?«
    »Abhauen!«, wiederholte sie. »Einfach abhauen!
Irgendwohin. Wo uns keiner kennt! Wo wir Fremde sind.«
    Er erschrak. Das war nicht nach seinem Geschmack, aber das
konnte er schlecht zeigen. Sie gefiel ihm, und das sollte auch umgekehrt so
sein. Also zuckte er mit den Schultern.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich weiß nicht. Meinst du
wirklich?« Sie wandte den Kopf und schaute ihn an. Immer noch wippte sie den
Takt. Ihre Augen glänzten wie frisch polierte Äpfel. »Ich möchte dich ein
bisschen kosten«, sagte sie. »Ich glaube, du bist süß.«
    Ihre Hand huschte über seinen Arm, sein Knie, er spürte,
wie alle Härchen sich aufstellten und seine Hose eng wurde. Mühsam brachte er
das Auto am Straßenrand zum Stehen, ehe es zu schlingern begann. Marie lachte
leise. »Ja«, sagte sie. »Wirklich sehr süß.« Dann küsste sie ihn. Ins Ohr. Dass
es PENG machte. In die Mulde zwischen Hals und Schlüsselbein. Ganz leicht, ein
Lufthauch.
    »Also du bist...«, murmelte er atemlos, »also ich

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