Das Regenwaldkomplott
meinem Labor? Was wird überhaupt mit allem, was hier ist? Mit den Werkstätten, mit den Wagen und den Booten, mit dem Material, mit den Feldern und Obstbäumen?«
»Ich weiß es nicht.« Pater Vincence schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, daß wir am 24. August die Station verlassen müssen. Ich werde alles versuchen, um die Mission zu retten. Ich werde an den Bischof von Boa Vista schreiben. Ich werde den Kardinal verständigen. Ich werde alle Bischöfe aufrufen, gegen diesen Vorgang zu protestieren. Die gesamte brasilianische Kirche muß sich jetzt einig sein! Vielleicht ist Santo Antônio noch zu retten. Laßt uns darum beten.« Doch dann fügte er noch hinzu: »Aber laßt euch nicht davon abhalten, zu packen. Was jeder von uns mitnehmen kann – auch das weiß ich nicht.«
Luise handelte als erste: Sie öffnete die Käfige und ließ die Tiere frei. Fast erstaunt blieben sie ein paar Sekunden in der Freiheit stehen, dann stoben sie nach allen Richtungen davon.
»Wir werden mit dem Aluminiumboot übersetzen«, sagte Ernesto zu Vincence. »Und dann lass' ich es flußabwärts treiben. Oder brauchst du noch das Boot?«
»Wir werden nichts mehr brauchen. Nimm mit, was du brauchst. Die Medikamente, die Instrumente, das Verbandszeug, die ganze bewegliche Einrichtung des Hospitals. Du wirst es nötig haben bei den Yanomami.« Vincence preßte die Lippen aufeinander, bevor er fragte: »Und was machst du, wenn die Yanomami dich nicht aufnehmen?«
»Wir haben über zwanzig Jahre miteinander gelebt. Ich habe geholfen, ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Es sind heute junge, kräftige Männer und Frauen, die selbst schon Kinder haben. Ich bin ihr weißer Vater.«
Die Arbeit auf der Mission ging weiter, als ob neues Geld eingetroffen wäre und man jetzt mit Hochdruck alle Pläne in Angriff nehmen könne. Die Mischmaschine lief röhrend und spuckte Beton aus. In der Schreinerei entstanden doppelwandige Holzwände, die man später für die Zimmerwände verwendete, denn Ziegel oder Kalkstein waren selten und mußten von weit her antransportiert werden; Holz hatte man genug. Im Hospital lagen fünf Garimpeiros, die Bento selbst mit einem Lastwagen herbeigekarrt hatte. Alle hatten schwere Quetschungen. Wie Bento erzählte, war auf einem der ›Dragos‹, der riesigen Baggerschiffe auf dem Fluß, die tonnenweise Goldsand aus dem Flußbett schaufelten, eine Ersatzwalze ins Rollen gekommen und hatte die fünf Goldwäscher erfaßt. Sie sahen zunächst schrecklich aus mit ihren blutüberströmten Körpern. Nachdem man sie gewaschen hatte, packte Bento sie kurz entschlossen auf den Lastwagen und brachte sie zur Mission.
»Auch wenn der Doktor tot ist«, erklärte er Luise, »sind sie hier besser aufgehoben als bei den besoffenen Ärzten im Camp. Sie werden sich um meine Leute kümmern.«
»Benjamim, ich bin keine Ärztin. Ich bin Biologin und Botanikerin.«
»Ich habe Vertrauen zu Ihnen.«
»Mit Vertrauen kann man nicht heilen. Ihre Männer brauchen einen Arzt.«
»Mit Vertrauen geht so viel, geht fast alles.« Bentos Gesicht war das eines bettelnden Jungen. »Sie werden sehen, ich habe recht.«
Schwester Lucia und Schwester Margarida brachten die fünf Verletzten zu Bett und gaben ihnen erst einmal eine schmerzstillende Injektion. Margarida untersuchte ihre Wunden, schiente Arme und Beine, gab Antibiotika, damit keine Infektionen entstanden, und bandagierte zwei Rippenbrüche.
Die Koffer standen bereit in den Zimmern. Nur die persönlichen Sachen hatte man eingepackt, neben Wäsche und Kleidung die vielen Kleinigkeiten, die man im Laufe der Jahre liebgewonnen hatte und die nun zum Leben gehörten. Eine große Kiste blieb leer. Am Tage der Abreise würden darin die Monstranz, der Kelch, die Silberdose für die Hostien, die Weihrauchbehälter, die Altardecken, die Meßgewänder, die geschnitzte Madonna und das Kruzifix, die hohen Kerzenleuchter und auch das kleine Glöcklein verstaut werden.
»Die Glocke nehme ich bestimmt mit!« sagte Pater Vincence zu Ernesto, dem plötzlich die Tränen in den Augen standen. »Sie hat vor über zwanzig Jahren den ersten Ruf zum Gebet in den Urwald geschickt. Und du, Ernesto, hast sie geläutet. Wenn wir jemals wieder nach Santo Antônio zurückkehren dürfen, dann soll ihre Stimme wieder auf dem alten Platz ertönen.«
Am 20. August rief Arlindo Beja noch einmal an.
»In vier Tagen wird die Mission geräumt«, berichtete er kurz. »Es werden vier Flugzeuge landen mit einer Abteilung
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