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Das Reich der Elben 01

Das Reich der Elben 01

Titel: Das Reich der Elben 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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freiwilligen Eingang nach Eldrana wäre nicht die großherzige Befreiung der elbischen Komponistenzunft von einem übermächtigen Meister gewesen, sondern die Erkenntnis, dass auch er selbst nicht in der Lage gewesen wäre, ein noch größeres Maß an Harmonie und Perfektion zu erschaffen, als es ihm mit »Ziel der Sehnsucht« gelungen war. So wäre Mutlosigkeit der eigentliche Grund für sein Ableben gewesen
– und wer konnte angesichts der Mutlosigkeit des größten elbischen Komponisten von den minderbegabten Nachfolgern optimistische Schaffensfreude erwarten, wenn es doch schon dem großen Gesinderis daran offenkundig gemangelt hatte?
Brass Elimbor gestand man das Privileg zu, erst während der ersten Akkorde des Stücks im Kreis der Ratsmitglieder einzutreffen, was die Wirkung seines Auftritts natürlich stark unterstützte. Schon als er aus der Barkasse stieg, die ihn an Land gebracht hatte, wurde dem uralten Oberschamanen eine Aufmerksamkeit zuteil, die jene, die man König Keandir und seiner Frau Ruwen schenkte, weit übertraf. Die meisten Elben
– ob nun Mitglieder des Kronrats oder nicht – hatten den Schamanen seit vielen Jahrhunderten nicht mehr gesehen. Für den einen oder anderen jüngeren Seegeborenen wie Branagorn, der ebenfalls Zeuge dieser Szene wurde, war Brass Elimbor ohnehin mehr ein Held der Legenden und ein Name, der in zahlreichen Sagen seine Erwähnung fand, als eine tatsächlich existierende Person.
Die Kapuze der hellgrauen Kutte hatte er wie üblich tief ins Gesicht gezogen. Manche munkelten, dass der Schamane auf seine uralten Tage lichtempfindlich geworden wäre und seine Augen die Helligkeit der Sonne nicht mehr gut vertrugen. Aber
das waren Gerüchte. Selbst diejenigen, die sich als seine Vertrauten bezeichneten, wozu vor allem die anderen Schamanen und Novizen zählten, hatten in den letzten tausend Jahren weniger als ein Dutzend Wörter mit ihm gewechselt.
Für Brass Elimbor war eigens ein hölzerner, thronähnlicher Stuhl aufgestellt worden, auf dem er Platz nahm, während Gesinderis’ »Ziel der Sehnsucht« zu einer überwältigenden Klangfülle anschwoll. Hier und dort bemerkte man Stirnrunzeln bei älteren Elben, die sich wohl an ein höheres künstlerisches Niveau der Instrumentalisten bei früheren Aufführungen dieses Werkes erinnerten. Aber sie waren höflich genug, darüber zu schweigen. Ihnen war sehr wohl bewusst, dass es schon einem Wunder glich, dass man überhaupt genügend Musiker hatte finden können, die ihre Kunst noch gut genug beherrschten, um an einer derartigen Aufführung teilnehmen zu können. Doch das elbische Gedächtnis funktionierte wohl doch besser, als es viele angenommen hatten, und die schon verschüttet geglaubten Fähigkeiten kehrten zurück.
Ein gutes Zeichen, fand auch König Keandir. Eine erste neue Blüte elbischer Kultur. Welch ein erhebender Moment. Und welch großartiges Gefühl, dies selbst erleben zu dürfen.
Während ihm dies durch den Kopf ging, fasste er Ruwens Hand, und sie erwiderte diesen leichten Druck. Für einen Moment fanden sich ihre Blicke, und das Lächeln, das dabei um Ruwens Lippen spielte, erwärmte das Herz des Königs auf eine Weise, wie er es lange nicht gefühlt hatte.
Die anwesenden Elben verloren sich in der Musik, folgten geistig den verschiedenen, gegeneinander und miteinander laufenden Stimmen, und als die letzten Töne verklungen waren, brauchten die meisten von ihnen erst einige Augenblicke, um wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden. So herrschte nach dem Ende der Komposition erst einmal
Schweigen – sowohl unter den Mitgliedern des Kronrats als auch unter den Zuschauern. Sie waren alle von derselben fast andächtigen Stille erfüllt.
Dann folgte der Auftritt des Obersten Schamanen. Brass Elimbor schlug seine Kapuze zurück. Das Faltenmuster seines Gesichts machte dieses Antlitz einzigartig unter den bis ins hohe Alter glatthäutigen Elben. Er stand von seinem thronartigen Stuhl auf, der mit Schnitzereien im Stil des Altars geschmückt war; eine Schülerin der schwermütigen Gorthráwen hatte sie gefertigt.
Brass Elimbor wirkte in sich gekehrt. All die anderen Elben um ihn herum, deren Blicke in diesem Moment fasziniert jede seiner Bewegungen folgten, schien er gar nicht zu bemerken. Der uralte Schamane trat auf den Altar zu. Aus dem weiten Ärmel seiner Kutte zog er einen Beutel. Er öffnete ihn und schüttete den Inhalt auf den Altar.
An Diamanten erinnernde weiße Steine mit glatten Oberflächen rollten

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