Das Reich der Katzen (German Edition)
Anstalten machte, etwas
zu sagen, sprach Onisha die Fragen aus, auch wenn sie die Antwort bereits
wusste. »Was war das? Wer war das?«
»Das war Bastet, die Katzengöttin«, murmelte Fleur. Alles Leben
schien aus ihrer Stimme gewichen zu sein. Und zum ersten Mal, seit Onisha sie
kannte, zeigte Fleur vor etwas Respekt. Benommen saß sie da, schüttelte dann
den Kopf, sprang auf und zog sich zurück.
Onisha ließ sie. Auch sie musste das Erlebte erst verkraften.
Fleurs Gedanken überstürzten sich. Wovon hatte die Katzengöttin
gesprochen? Von einem heiligen Pergament, auch ‚Das Buch der Tore‘ genannt, und
einem ‚Schwarzen Kloster‘. Letzteres war Fleur ein Begriff. Ihre Mutter hatte
ihr, als sie noch ein kleines Kätzchen war, eine Geschichte erzählt, die von
einem Kloster handelte. Wenn sich Fleur recht erinnerte, war es das Schwarze
Kloster gewesen. Dort hatte ein Mönchsorden gelebt, dessen Glauben eine enge
Verbindung zu Katzen und ihrer besonderen Mystik hatte. Fleurs Mutter hatte
ihrer Tochter auch viel von Bastet, der Katzengöttin, erzählt und von dem Reich,
über das sie herrschte und in dem nur Katzen zusammen mit den Urvätern der
Mönche lebten. Fleur erinnerte sich noch sehr gut daran, dass das Schwarze
Kloster in einem verlassenen Bergtal liegen sollte. Sie wusste nur nicht mehr
genau, wo das Tal lag. Aber das war momentan nebensächlich. Ben wird es wissen,
dachte sie.
Sie näherte sich wieder Onisha.
»Lass uns gehen«, sagte sie ebenso sanft wie entschlossen. Mit
ihr war eine deutliche Wandlung vonstatten gegangen.
Onisha spürte, dass es nicht der richtige Augenblick war, Fleur
noch einmal auf das eben Erlebte anzusprechen. Da war plötzlich ein ungewohnter
Ernst in ihrem Blick. Mit ihr schien eine deutliche Wandlung vorgegangen zu
sein.
»Okay«, antwortete Onisha nur einsilbig und erhob sich.
Sie gingen noch drei Stunden durch den dichten Wald. Schweigend
und tief in Gedanken versunken. Es war die Jahreszeit, in der sich das Licht
immer früher vom Himmel zurückzog. Herbst nannten die Menschen sie. Onisha war
sich nicht sicher, ob sie sie mochte, diese goldene Jahreszeit, in der der
Herbst dem Sommer einen Tritt versetzte, um selbst die Herrschaft über die Erde
zu erlangen. Auf der einen Seite liebte Onisha das warme, rotgoldene Laub, das
einen weichen Teppich auf die Erde legte. Durch das der Wind manchmal übermütig
fuhr und es aufwirbelte. Auf der anderen Seite erstarb die Natur langsam und
unaufhörlich. Die Bäume, ihres Blätterkleides beraubt, streckten ihre nackten
Arme gespenstisch in den Himmel, der oft wolkenverhangen war und aus dem es auf
die Erde herabregnete. Dann wiederum regte sich kein Lufthauch. Kein klagender
Windlaut erklang. Die Welt erstickte fast an der Stille. Genau das waren die Momente,
in denen Onisha traurig wurde. Kein Sonnenstrahl drang durch den dunstigen,
eierschalfarbenen Himmel. Onisha sehnte sich in dieser Zeit mehr denn je nach
der Sonne, die ihre Seele wärmte. Sie schien immer spärlicher vom Himmel. Ab
und an durchdrang sie die Wolkendecke. Aber dann war sie nach einigen Minuten
wieder hinter grauen Schwaden verschwunden. An manchen Tagen fühlte sich die
Stille jedoch gut an. Das waren die Tage, an denen Onisha bis tief in den
hintersten Winkel ihrer Seele tauchte. An denen sie sich vor der Welt
verschloss. Das waren die Tage, an denen die Zeit den Atem anhielt.
Die Dämmerung hüllte die restlichen Bäume am Waldrand in diffuses
Licht. In den umstehenden Büschen und Hecken raschelte es. Onisha beachtete es
nicht. Am nächsten Tag würden sie Ben und seine Bande erreichen und dann das
Schwarze Kloster suchen. Sie hatten beschlossen noch Kräfte zu tanken und zu
schlafen. Onisha rollte sich zusammen und dachte mit Wehmut an ihr weiches
Kissen mit den Troddeln.
Bereits nach wenigen Minuten war sie in einen Alptraum gefallen:
Sie rannte mit Fleur durch den Wald. Ein großer, bedrohlicher Schatten folgte
ihnen. Onishas empfindliche Pfoten fingen an zu bluten. Tief hängende Zweige
blieben in Onishas dichtem Fell hängen und rissen daran. Doch sie achtete nicht
darauf. Fleur rannte vor ihr. Wie eine Sprinterin flitzte sie vor Onisha her.
Doch dann stoppte sie plötzlich so unerwartet, dass Onisha heftig auf sie
prallte.
»Was soll das?«, knurrte sie. Angst verzerrte ihre Stimme. Das
Wesen war immer noch hinter ihnen. Hatte den Abstand zu ihnen sogar verringert.
Onisha meinte schon seinen Atem zu spüren. Ihr war es unverständlich,
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