Das Reich der Katzen (German Edition)
Onishas Stimme. »Ich glaube
schon, nein, ich bin fast überzeugt. Bastet war die katzenköpfige Gemahlin des
Sonnengottes Re. Ihre Grabstätte befindet sich in der Stadt der Katzen. In dem
für sie errichteten Tempel. Dort soll die Antwort auf das Geheimnis sein, wer
Bastets Nachfolgerin wird. Wer künftig über das Reich der Katzen herrschen
soll.«
Onisha setzte sich auf. »Dann lass sie uns suchen!«, schlug sie
beherrscht vor. So beherrscht, als wäre der Vorschlag das Selbstverständlichste
von der Welt. War es plötzlich auch. Alles, was ihre Mutter ihr jemals erzählt
hatte, ergab plötzlich einen Sinn.
Fleur riss die Augen auf. Nicht nur erstaunt. Nein, nahezu
erschüttert. »Ja, was meinst du denn, wohin ich will? Ich gehe nicht umsonst
durch diesen Wald!«
»Dann lass uns weitergehen und keine kostbare Zeit verplempern«,
forderte Onisha. »Ich begleite dich.«
»Meinst du das ernst?«, stotterte Fleur. »Du willst mich nach wie
vor begleiten? Es wird kein Zuckerschlecken werden!«
»Natürlich gehe ich mit.« Onisha kicherte. »Du müsstest mal
deinen Gesichtsausdruck sehen. Einfach köstlich. Als wenn dir ein Geist
erschienen wäre.«
»Ist mir auch«, erwiderte Fleur ernsthaft. »Der Geist der wahren
Onisha.«
Onisha wusste nicht, ob sie Fleurs Worte als Kompliment sehen
sollte oder nicht. »Was ist, wollen wir nun weitergehen oder nicht? Warst du es
nicht, die mir dauernd vorgehalten hat, dass man nicht nur auf Seidenkissen
sitzen und sich von einem Menschen aushalten lassen soll?«
»Ja, ja«, schnaubte Fleur. »Das habe ich gesagt. Aber du wirst
deinen Vorschlag noch verfluchen« Sie grinste. »Wie ich dich kenne, sogar sehr
schnell, denn es wird ziemlich strapaziös. Immerhin sind wir Katzen keine Wandertiere.
Wenngleich ...«
»Also gut, es ist beschlossene Sache. Wir gehen!«, tönte Onisha
dazwischen und blickte triumphierend in den Himmel. Sie hatte sich noch nie in
ihrem Leben so wohl gefühlt. Ungeahnte Kräfte schienen in ihr geschlummert zu
haben, von denen sie nichts geahnt hatte, und die erwachten nun zu neuem Leben.
Das Gefühl gefiel ihr. Sehr sogar. Wenn sie ehrlich zu sich war, konnte man
sich geradezu daran gewöhnen.
Fleur hatte Onishas eindeutigen Marschbefehl noch nicht so
richtig verdaut. »Das ist ja ein Hammer«, flüsterte sie vor sich hin. »Madame
Hochwohlgeboren entwickelt Abenteuerlust.« Sie musterte Onisha heimlich unter
ihrem fransigen Stirnhaar hervor. »Aber diesmal hast du Recht. Auch wenn ich’s
nicht gerne zugebe: Bastets Reich ist meine Bestimmung. Und vielleicht auch
deine. Auch wenn du eine eingebildete Zicke bist.«
»Hast du mit mir gesprochen?«, drang Onishas Stimme in Fleurs
geflüsterten Monolog.
Fleur schüttelte den Kopf. Onisha konnte einfach nicht fragen:
»Was hast du gesagt?« Oder nur: »Was?«, wie es Fleur gemacht hätte. Nein, sie
musste es natürlich formvollendet ausdrücken. Sie würde sich nie ändern! Fleur
seufzte ergeben. »Wir können nicht alleine weitergehen. Das wäre zu gefährlich«
»Wie bitte?«
»Wir müssen Ben und seine Gang bitten, uns zu begleiten.«
»Wer ist Ben?«
»Das wirst du noch früh genug erfahren«, erwiderte Fleur
geheimnisvoll und verzog ihr Gesicht zu einer schadenfrohen Grimasse. »Ben wird
dir schon die Flausen aus dem Kopf treiben. Und zwar gründlich.« Sie grinste
wie ein Honigkuchenpferd vor sich hin.
Gegen Mittag erreichten sie eine Lichtung. Bei Tag wirkte der
Wald völlig normal. Onisha fragte sich, ob sie sich die unheimliche Bewegung
zwischen den Bäumen nur eingebildet hatte. Normalerweise fühlten sich Katzen in
der Dunkelheit durchaus wohl. Immerhin waren sie nachtaktiv und schliefen den
lieben langen Tag. Aber im Moment war alles verkehrt. Sie machten den Tag zur
Nacht, liefen durch die Gegend und fielen bei Einbruch der Dunkelheit todmüde
in irgendein Gebüsch. Onisha blickte sich um. Farne und Moose bedeckten den
schlüpfrigen Boden, darüber erhob sich dichtes Strauchwerk. Und über alledem
ragten hoheitsvolle Baumriesen. Die atmende Stille gab dem Wald etwas Geheimnisvolles.
Aber sie strahlte auch eine ungeheuer wohltuende Ruhe aus. Vögel mit farbigem Gefieder
saßen zwischen schwellendem Grün und trällerten vor sich hin.
In Fleurs Augen blitzte es schalkhaft auf. »Von den vorlauten
Fruchtzwergen hätte ich jetzt gerne einen zwischen den Zähnen.«
Onisha wäre beinahe ohnmächtig geworden. Die Vorstellung, einen
der kleinen Vögel zu töten, erschreckte
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