Das Reich der Katzen (German Edition)
von Fleur.
»Was ist denn mit deinen Nerven?«, wollte sie wissen. In ihrem
Blick glomm etwas, was darauf schließen ließ, dass sie wusste, was Onisha
gesehen hatte. Oder glaubte gesehen zu haben.
»Sie sind ein wenig dünn«, versuchte Onisha auszuweichen, fuhr
aber, als Fleur ihr fest in die Augen blickte, leise fort. »Ich glaube, ich
habe Lavina gesehen.«
Fleur keuchte erschrocken. »Das auch noch. Das hat uns gerade
noch gefehlt.«
»Bitte sag den anderen nichts.«
»Gut«, flüsterte Fleur zurück.
Ben drehte sich zu ihnen herum. »Was habt ihr wieder zu tuscheln,
ihr zwei? Wir gehen auf geschichtsträchtige Monumente zu und ihr habt nichts
Besseres zu tun als zu tratschen.« Er warf Valentin einen amüsierten Blick zu. »Wir
tun das natürlich nie.«
Sie näherten sich der ersten Pyramide, die einen gewaltigen
Schatten über sie warf. Und wieder meinte Onisha etwas wahrzunehmen. Doch
dieses Mal sagte sie keinen Mucks, verriet mit keiner Silbe, was sie gesehen
hatte.
Als sie den Sockel der Pyramide erreichten, erklang die Stimme in
ihr wieder. Der Käfer aus Grünstein wird dir den Weg weisen , flüsterte
sie. Onisha wusste mit dem Hinweis nichts anzufangen. Aber die Stimme
wiederholte den merkwürdigen Satz so lange, bis Onisha an nichts anderes mehr
denken konnte als an einen kleinen Käfer aus Grünstein, was auch immer das sein
sollte. Sie vergaß den Käfer erst, als Ben und Valentin ein Loch fanden, das
offensichtlich in das Innere der Pyramide führte.
Eine dunkle Wolke formierte sich über ihnen: Blackbird und seine
Freunde. Die Krähe gab ein heiseres Krächzen von sich und stieß auf die Erde
hinab. »Ich begleite euch«, rief sie den Katzen zu. »Das Schauspiel lasse ich
mir nicht entgehen. Darauf habe ich viel zu lange gewartet.«
Sie quetschten sich alle nacheinander durch das enge Loch. Ein
trockener Luftschwall drang ihnen entgegen. Brannte in den Lungen und trieb
ihnen die Tränen in die Augen. Onisha hustete. Schlieren tanzten vor ihren
Augen. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick ohnmächtig zu werden. Doch sie
wollte Rocky den Platz nicht streitig machen.
»Irgendwie sind diese Dinger morbid. Hier geht es nur um Tod und
Totenkult.« Fleurs Stimme drang seltsam verzerrt zu Onisha herüber.
»Die Menschen scheinen eine besondere Faszination für den Tod zu
verspüren. Dabei sagt man ihnen nach, dass sie ziemlichen Schiss davor haben«,
sagte Ben und schlich flach wie eine Flunder voraus. Onisha starrte ihn fasziniert
an. Seine Kaltschnäuzigkeit verursachte ihr einen angenehmen Schauer. Sie krochen
durch einen tiefen Schacht, der in einen langen Gang mündete. Stunden später,
wie Onisha schien, erreichten sie einen Raum, der mit abertausend Schüsseln,
Krügen und Schalen gefüllt war. Dazwischen Behälter aus Alabaster, deren Deckel
einen Frauenkopf aufwies.
»Das sind Kanopen«, erklärte Valentin. »Hier bewahrt man die
Eingeweide der Königinnen auf, die vor der Mumifizierung entfernt wurden.«
»Sehen wir uns das mal näher an«, befahl Ben und gab Valentin ein
Zeichen.
Langsam schritten sie an die Krüge heran. Betrachteten alles
ausgiebig. Dann kehrten sie zu den Freunden zurück und Ben meinte: »Das kann
noch nicht alles sein. Hier muss es mehr als diesen Kram geben.«
»Für diesen ‚Kram‘ würden Menschen Morde und Kriege begehen, so
viel ist er wert«, hielt ihm Valentin entgegen. »Aber du hast Recht, dort
hinten ist ein schmaler Gang. Dahinter dürfte die Grabkammer liegen.«
Rocky stand wohl schon wieder kurz vor einem Ohnmachtsanfall, so
blass wurde er um die Nase. »Könnt ihr mir vielleicht mal verraten, was wir
hier eigentlich suchen?«, fragte er mit dünner Stimme.
»Wir werden es wissen, wenn wir es sehen«, sagte Valentin
geheimnisvoll.
Das bringt uns kein Stück weiter, dachte Onisha. Gleichzeitig
wurde ihr wieder einmal klar, dass auch Valentin genau wusste, was mit ihnen
und um sie herum geschah. Genau genommen wusste er weitaus mehr als sie. Onisha
hätte gegrillte Mäuse am Spieß dafür gegeben, zu erfahren, was Valentin alles
wusste. Aber sie war viel zu erschöpft und ängstlich, um darüber nachzudenken oder
gar nachzufragen. Im Übrigen hatte sie das untrügliche Gefühl, der Lösung Pfote
für Pfote näher zu kommen. Auch wenn es nur im Zeitlupentempo geschah.
Wieder folgten sie Ben im Gänsemarsch. Sie hatten es sich zur
Gewohnheit gemacht, Rocky und Lucky in die Mitte zu nehmen. Die Nachhut bildete
Valentin. Neben Ben hüpfte
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