Das Reich der Katzen (German Edition)
sind, ist sie die Felswände hoch und hat
sich verdrückt«, lästerte Ben. »Nicht gerade göttlich.«
Onisha lachte. »Dann war sie das dunkle Ding, das ich gesehen
habe.«
»Wahrscheinlich.« Fleur sah sich mit einem flauen Gefühl in der
Magengrube um. Die Fackeln zauberten gespenstische Schatten an die Wände.
Schatten, die ein seltsames Eigenleben besaßen. Die über die Wände huschten,
verlorengingen und wieder auftauchten. Die Gesichter formten, die sie verhöhnten.
»Mann, ist das hier unheimlich. Lasst uns abhauen«, meinte Rocky.
Und dieses Mal machte niemand über ihn Scherze. Er sprach allen aus der Seele.
Ben warf einen Blick zurück. Valentin hatte wieder seine
Katzengestalt angenommen. Doch Bens Interesse galt nicht ihm, sondern der
weißhaarigen Gestalt am Boden. Er warf Valentin einen Blick zu. »Was ist mit
Lavina? Kann sie uns noch mal gefährlich werden?«
Valentin zog eine Augenbraue hoch. »Wenn ich das wüsste. Sie
zieht ihre Kraft aus dem NECRONOMICON, der satanischen Bibel, und da ist alles
möglich. Aber ich denke, wir sind fürs Erste vor ihr sicher.« Er drehte sich
noch einmal herum und sagte leise: »So hoffe ich zumindest.«
Sie verließen die Stätte des Bösen in rasendem Tempo. Rannten um
ihr Leben und ihr Seelenheil. Denn nun waren die Mächte des Bösen tatsächlich
hinter ihnen her. Etwas von dem Dämon, der von Lavina Besitz ergriffen hatte,
war noch in der Luft. Die Katzen preschten dicht hintereinander durch die
Pyramide und hinaus. Es ging über schweren, feuchten Erdboden und über scharfen
Schotter. Die empfindlichen Ballen ihrer Pfoten waren schon bald blutig, doch
sie achteten nicht darauf.
Sie hatten nur einen einzigen Gedanken: Nichts wie weg!
Sie verlangsamten erst wieder das Tempo, als sie die Pyramide
weit, weit hinter sich gelassen hatten. Immer noch spürten sie den
unglückseligen Atem der Unterwelt hinter sich. Fühlten, mit welchem Moloch sich
Lavina eingelassen hatte. Für Onisha, die den Großteil ihres Lebens mit Menschen
verbracht hatte, war Machthunger um jeden Preis nichts Neues. Aber es hatte sie
dennoch erschreckt, die Ausmaße so deutlich vor Augen geführt zu bekommen. Sie
fragte sich, ob Bastets Nachfolge nicht eben solche Gefahren barg. Ob die Macht
nicht eher die negativen Charakterzüge verstärkte und die positiven auf den
zweiten Platz verwies. Wahrscheinlich war es so. Aber noch wahrscheinlicher
war, dass nur der die Macht missbrauchte, der schwach und ohne innere Werte
war. Onisha hoffte inständig in diesem Leben nicht mehr auf Lavina zu stoßen.
Und wenn es tatsächlich ein Leben nach dem Tod gab, verspürte sie ebenso wenig
Lust, es dort zu tun. Doch jetzt waren sie ihr entkommen.
Fürs Erste?
Onisha befürchtete es.
Valentin sprach ihre Zweifel laut aus, nachdem er in die Runde
zufriedener Katzengesichter geblickt hatte: »Es gibt keinen Grund, so selig aus
der Wäsche zu schauen.«
»Dachte ich es mir.« Twinky blickte ihn vorwurfsvoll an. »Musst
du immer so schwarzmalen?«
Valentin seufzte ergeben. »Ich male nicht schwarz. Ich bin nur
...«
Realistisch, wollte er sagen, aber Twinky zog ihre kleine braune
Brekkie-Nase kraus und giftete dazwischen: »Du bist wie immer pessimistisch und
...«
»Halt endlich das Maul!«, fuhr ihr Ben gebieterisch ins Wort.
»Valentin hat völlig Recht.«
»Danke«, sagte dieser trocken. »Es freut mich, dass mir zumindest
einer Gehör schenkt.«
»Nicht nur einer«, krächzte Blackbird. »Auch ich weiß, dass
Lavinas Macht nur geschwächt, aber nicht gebrochen ist. Daher schlage ich vor,
nicht lange herumzutrödeln, sondern Fersengeld zu geben.« Er zeigte mit dem
Flügel zum Horizont. »Dort hinten fließt der Nil. Der Fluss der Flüsse. Ihm
müssen wir folgen.«
Was immer an dem Fluss besonders sein sollte, war Onisha
schleierhaft. Er floss schmutzig grau durch ein Delta, ein grünes Dreieck, das
von einem gelbrötlichen Wüstenstreifen begrenzt wurde. Nichts an dem Gewässer
war ungewöhnlich. Was Onisha allerdings noch mehr beschäftigte, war die Frage,
woher Blackbird so viel wusste und warum er seine Weisheiten häppchenweise
präsentierte. Darin war er Valentin sehr ähnlich. Was verband die beiden?
Ihre Gedanken schweiften wieder zum Nil. Sie war nicht die
Einzige, die sich fragte, warum um den Fluss und das Land so viel Aufhebens
gemacht wurde.
»Wie heißt eigentlich das Land, durch das wir uns gerade so nett
quälen?«, wollte Rocky wissen und warf der sengenden
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