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Das Reich der Schatten

Das Reich der Schatten

Titel: Das Reich der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
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Kleid aus edlen, mit Goldfäden verzierten Stoffen konnte von ihrer ausgemergelten Erscheinung ablenken. Ihr Gesicht hatte Ähnlichkeit mit dem Pergament, das in Talad gelegentlich benutzt wurde, um Botschaften zu übermitteln. Hier, in Erborg, war das verpönt. Die Verwendung von Schriftzeichen galt als schweres Vergehen, und jeder in der Stadt musste die Geschichten seines Volkes erlernen, bis er das Mannesalter erreicht hatte. Auch in Crosgan hielt man dies so. In Talad und Ceadd dagegen war man seit einigen Generationen dazu übergegangen, manches auf Schriftrollen festzuhalten, und besonders wichtige Werke waren sogar zu Büchern gebunden worden, jedoch wohlbehütet von den Ältesten und Weisesten der Stadt.
    Schon wieder drohten Kian die Augen zuzufallen, nur der Ellbogen seines Onkels, der sich schmerzhaft in seine Rippen bohrte, bewahrte ihn vor der Schmach, an der Tafel des Fürsten einzuschlafen.
    Allerdings hatte dessen greise, monotone Stimme einen äußerst einschläfernden Effekt, und Kian hatte keine Lust mehr, den immer gleichen Argumenten für oder wider ein Treffen mit den Tuavinn zu lauschen – denn darum ging es nun schon seit geschlagenen fünf Tagen. Und seit fünf Tagen saß er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in diesem verräucherten Raum. Er verstand einfach nicht, weshalb sich Fürst Orteagon nicht einmal dazu entschließen konnte, Kamine in seine Häuser einbauen zu lassen. Nein, es mussten die traditionellen Feuerstellen in der Mitte des Raumes sein. Der Rauch stieg dann einfach nach oben und sammelte sich, bevor er durch das mit Schilf gedeckte Dach äußerst langsam abzog.
    »Sie werden uns gefangen nehmen und ermorden«, erwähnte Fürst Orteagon – bereits zum vierten Male, und das nur am heutigen Tage.
    »Ich hingegen bin mir sicher«, mischte sich Martegos ein, »dass sich die Ältesten aus Crosgan nicht die Gelegenheit entgehen lassen, eine junge Frau von jenseits der Schwelle zu treffen.« Über der Oberlippe des hochgewachsenen Kriegers thronte ein gewaltiger blonder Schnurrbart. Dieser war an den Enden mit Holzperlen geschmückt und hing ihm bis auf die Brust. Martegos war ein angesehener Krieger, der schon zahlreiche Schlachten geschlagen hatte.
    »Sie wollen unsere Traditionen aufbrechen, uns in die Ewigkeit schicken!«, donnerte Orteagon. Ähnlich wie bei seiner Frau war auch seine Haut verschrumpelt, dennoch erfreute er sich eines kräftigen Körpers, sein Haupthaar war ebenso voll wie sein Schnurrbart.
    Es würde sicher nicht schaden, mit manch einer Tradition zu brechen ,dachte Kian, denn hier in Erborg gab es deutlich weniger Abtritte und Kanäle als in seiner Heimatstadt, und der Gestank war gerade bei regnerischem Wetter bestialisch. Immerhin drängten sich an die fünfzigtausend Menschen auf dem Hochplateau. Auch die Stroh- und Schilfdächer mochten traditionell sein, ließen jedoch, wenn sie nicht regelmäßig ausgebessert wurden, recht viel Wasser durch. Kian musste lachen, als er sah, wie Fürstin Elgetia von ihrem Wein nippte, dann zornig die Stirn runzelte und nach oben blickte. Anschließend befühlte sie ihre Frisur, sah erneut in die Höhe und bekam prompt einen Tropfen ins Auge. Als Kian der Blick seines Onkels traf, ließ er das Lachen in ein Hüsteln übergehen und blickte rasch zu Boden. Kian wünschte sich fort, in den Wald, auf die Ebenen östlich von Talad oder auch in die Berge von Avarinn, Rodhakan hin oder her. Diese endlosen Beratungen machten ihn wahnsinnig. Nun erhoben sich die beiden Fürsten und weitere deutlich betagte Männer und Frauen, die, wie er inzwischen wusste, die Entscheidungsträger von Erborg waren.
    »Wir ziehen uns für eine Beratung des innersten Kreises zurück«, verkündete Fürst Orteagon würdevoll, verbeugte sich vor den Versammelten und schritt mit seiner Gefolgschaft auf die bogenförmige Tür seines Haupthauses zu.
    Ein unterdrücktes Seufzen ging durch die Menge. Wie Kian wollten die meisten einfach nur eine Entscheidung. Er lehnte ein Tablett mit geräuchertem Fisch ab, das ihm eine der Mägde anbot, denn er hatte ohnehin schon genügend gegessen, und auch Wein wollte er nicht mehr trinken. Gelangweilt legte er die Füße auf den inzwischen leeren Stuhl neben ihm, denn Onkel Ureat war aufgestanden.
    »Du bist doch Kian aus Talad, nicht wahr?« Eine junge Kriegerin mit rotem Haar stellte sich vor ihn und lächelte verführerisch. Diese Art von Ablenkung kam ihm gerade recht.
    »Ja, der bin ich.« Er richtete sich

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