Das Reich des dunklen Herrschers - 8
er vielleicht besser hinter Schloß und Riegel.«
Nathan gab ihr nickend Recht. »Wir werden alle Türen verschließen und den Wachen Befehl geben, daß er für alle Zeiten hier, hinter den Schilden, weggesperrt bleiben soll.«
Ann drohte ihm mit erhobenem Zeigefinger. »Und komm bloß nicht auf den Gedanken, ich würde dir irgendwelche Unbotmäßigkeiten durchgehen lassen, nur weil du keinen Halsring trägst.«
Nathans amüsierte Miene kehrte zurück, er unterließ es aber, ihr spontan beizupflichten. Ehe er durch die Tür trat, wandte er sich noch einmal zu ihr herum.
»Übrigens, hast du über das Reisebuch mit Verna Verbindung aufgenommen?«
»Ja, ab und zu. Sie ist zur Zeit bei der Armee und hat mit der Sicherung der nach D’Hara hineinführenden Pässe alle Hände voll zu tun. Jagang hat mit seiner Belagerung begonnen.«
»Nun ja, nach allem, was ich von den militärischen Befehlshabern hier im Palast in Erfahrung bringen konnte, sind die Pässe hervorragend gesichert und dürften noch eine Weile halten. Du mußt ihr aber trotzdem eine Nachricht zukommen lassen. Sag ihr, wenn ein unbewaffneter Wagen sich ihren Linien nähert, soll sie ihn durchlassen.«
Ann machte ein verwundertes Gesicht. »Was soll das heißen?«
»Prophezeiungen sind den Eingeweihten vorbehalten. Richte es ihr einfach aus.«
»Also gut«, preßte Ann ein wenig atemlos hervor als Nathan sie durch die schmale Türöffnung zog. »Aber ich sollte ihr besser nicht verraten, daß der Hinweis von dir stammt, denn sonst wird sie ihn vermutlich ignorieren. Sie halt dich nämlich für ein bißchen vertrottelt, mußt du wissen.«
»Sie hatte eben noch keine Gelegenheit, mich näher kennen zu lernen, das ist alles.« Er sah sich um. »Schließlich war ich jahrelang zu Unrecht eingesperrt.«
Ann hatte am liebsten entgegnet, daß Verna ihn nur zu gut kannte, besann sich aber eines Besseren. Als Nathan sich zur äußeren Tür herumdrehen wollte, hielt sie ihn am Ärmel zurück.
»Was verschweigst du mir noch über diese Prophezeiung, die du entdeckt hast?«
Sie kannte Nathan gut genug, um seiner Nervosität anzusehen, daß er ihr etwas vorenthielt und er es womöglich für einen galanten Zug hielt, um ihr Kummer zu ersparen. Er sah ihr mit ernster Miene erst eine Weile in die Augen, ehe er antwortete.
»Auf dieser Gabelung der Prophezeiungen gibt es einen Schleifer.«
Ann legte die Stirn in Falten und verdrehte nachdenklich die Augen. »Ein Schleifer, ein Schleifer«, murmelte sie bei sich und versuchte, sich den Ausdruck in Erinnerung zu rufen. Irgendwie klang er vertraut. »Ein Schleifer …« Sie schnippte mit den Fingern. »Ein Schleifer!« Sie riß die Augen auf. »Gütiger Schöpfer.«
»Ich bezweifle sehr, daß der Schöpfer seine Hände dabei im Spiel hatte.«
Ann winkte protestierend ab. »Das ist völlig ausgeschlossen. Diese neue Prophezeiung, die du entdeckt hast, muß irgendwie fehlerhaft sein. Schleifer wurden zu Zeiten des Großen Krieges geschaffen; es ist also vollkommen unmöglich, daß auf dieser Verbindung der Prophezeiung ein Schleifer existiert - begreifst du nicht? Ganz offensichtlich liegt hier eine Phasenverschiebung vor; die Prophezeiung ist längst abgelaufen.« Ann biß sich auf die Unterlippe, während ihre Gedanken rasten.
»Sie unterliegt keiner Phasenverschiebung. Meinst du, das war nicht auch mein erster Gedanke? Hältst du mich vielleicht auch für vertrottelt, für einen Amateur? Ich bin die gesamte Zeitbestimmung Hunderte von Malen durchgegangen. Ich habe sämtliche Tabellen und Berechnungen zu Rate gezogen, die ich je gelernt habe - einige habe ich sogar eigens für diesen Zweck entwickelt. Sie alle lieferten dieselbe Wurzel; alle Verbindungen waren in Ordnung. Die Prophezeiung ist phasengleich; ihre Chronologie und alle anderen Aspekte sind korrekt ausgerichtet.«
»Dann handelt es sich eben um eine unechte Verbindung«, beharrte Ann. »Schleifer waren damals mit Hilfe von Magie erschaffene Kreaturen: sie waren steril und unfähig, sich zu vermehren.«
»Laut Prophezeiung wurde er als Schleifer nicht geboren, sondern wiedergeboren.«
Eine Gänsehaut überlief Ann. Sie starrte ihn eine Weile unverwandt an, ehe sie ihre Stimme wiederfand. »Seit dreitausend Jahren sind außer Richard keine Zauberer mehr mit beiden Seiten der Gabe geboren worden. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß jemand …«
Ann unterbrach sich. Er beobachtete sie und sah, wie ihr plötzlich ein Licht aufging, wie es gewesen
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