Das Reich des dunklen Herrschers - 8
von vorn beginnen, ich würde manches anders machen. Ich erwarte keine Nachsicht; schließlich habe ich sie dir auch nicht gewährt.«
»Nein«, sagte Nathan, »das hast du allerdings nicht.«
Seine himmelblauen Augen schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu dringen; es war so eine Eigenart von ihm. Richard hatte denselben durchdringenden Blick der Rahls geerbt. »Es tut dir also leid, daß du mich mein Leben lang wie einen Gefangenen gehalten hast. Weißt du auch, warum das falsch war, Ann? Ist dir die Ironie dessen überhaupt bewußt?«
Sie hörte sich, beinahe gegen ihren Willen, sagen: »Welche Ironie?«
»Nun«, meinte er achselzuckend, »wofür kämpfen wir denn überhaupt?«
»Du weißt sehr wohl, wofür wir kämpfen, Nathan.«
»Ja, das stimmt. Aber weißt du es auch? Dann verrate mir doch bitte, was es ist, das wir unter Aufbietung all unserer Kraft beschützen, bewahren und am Leben zu erhalten versuchen?«
»Die Gabe der Magie des Schöpfers, was sonst? Für ihren Fortbestand in der Welt kämpfen wir. Wir kämpfen für das Überleben derer, die mit ihr geboren wurden, und daß sie lernen, dieses Talent in vollem Umfang auszuschöpfen. Wir kämpfen, damit jeder Einzelne von ihnen dieses Talent besitzen und es lobpreisen kann.«
»Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, findest du nicht auch? Du fürchtest das, wofür es sich angeblich zu kämpfen lohnt. Die Imperiale Ordnung vertritt den Standpunkt, es diene keinesfalls dem Wohl der Menschheit, wenn die mit der Gabe Gesegneten Magie besitzen, weshalb ihnen dieses einzigartige Talent genommen werden müsse. Sie behauptet, dieses Talent verteile sich nicht gleichmäßig auf alle Menschen, demzufolge sei es gefährlich, wenn nur einige wenige es besitzen - weshalb man sich von dem Glauben verabschieden müsse, der Mensch könne sein Leben selbst gestalten. Alle mit Magie Geborenen müßten daher aus dieser Welt verstoßen werden, damit sie für die, die dieses Talent nicht besitzen, zu einem besseren Ort werde.
Und doch war ebendies einer der Leitsätze deines ganzen Tuns, war diese unsinnige Überzeugung die Grundlage deines Vorgehens. Wegen dieses Talentes hast du mich weggesperrt. Du hast, was ich kann, nicht aber andere können, als mein verbrecherisches Erbe betrachtet, das man nicht auf die Menschheit loslassen dürfe.
Und doch hast du dich dafür eingesetzt, dieses Etwas, das du bei mir fürchtest - mein einzigartiges Talent -, in anderen zu erhalten. Du kämpfst dafür, daß jeder mit Magie Geborene das unveräußerliche Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hat und er sein Talent nach besten Kräften nutzen darf … und doch hast du mich eingesperrt, um mir ebendieses Recht vorzuenthalten.«
»Nur weil ich möchte, daß die Wölfe des Schöpfers ihrer Bestimmung gemäß ungehindert auf die Jagd gehen können, muß ich mich doch nicht gleich fressen lassen.«
Nathan beugte sich vor. »Ich bin aber kein Wolf, sondern ein Mensch. Du hast über mich gerichtet, mich überführt und zu lebenslanger Haft in deinem Verlies verurteilt - dafür, daß ich der bin, als der ich geboren wurde, und etwas tun könnte, was dir Angst macht - wohlgemerkt: allein, weil ich die Fähigkeit dazu besaß. Dann hast du deine innere Zerrissenheit dadurch auszugleichen versucht, daß du mein Gefängnis -um dich von deiner Güte zu überzeugen - luxuriös ausstaffiertest, dabei aber gleichzeitig die ganze Zeit so getan, als seist du überzeugt, wir müßten dafür kämpfen, daß zukünftige Generationen ihr Leben selbst bestimmen können.
Die luxuriöse Ausstattung meines Gefängnisses diente also nur dazu, dich selbst über die wahre Natur dessen hinwegzutäuschen, was du vertratst. Sieh dich umm, Ann.« Mit einer ausladenden Handbewegung deutete er auf die steinernen Mauern. »Das hast du all jenen zugedacht, die deiner Meinung nach kein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Dein Entschluß, gefaßt aufgrund einer Fähigkeit anderer, die dir nicht paßt, gleicht dem der Imperialen Ordnung. Er besagt, daß Menschen, die über ein größeres Potential verfügen, zum Wohle der weniger Bemittelten geopfert werden müssen. Wie hübsch du dein Verlies auch dekorieren magst, von innen sieht es stets so aus wie hier.«
Ann versuchte ihre Gedanken zu ordnen und ihre Stimme wiederzufinden, ehe sie antwortete. »Ich hatte geglaubt, ich sei zu einer ähnlichen Erkenntnis gelangt, als ich ganz allein hier unten saß, aber jetzt muß ich feststellen, daß das so nicht
Weitere Kostenlose Bücher