Das Reich des dunklen Herrschers - 8
werden uns die Riesenkrähen gewiß beobachten. Lassen wir uns dort aber nicht blicken, dürfte Nicholas uns aus den Augen verlieren. Und von jetzt an möchte ich, daß es dabei bleibt. Ich bin es leid, für seine Raubvögel ein leichtes Ziel abzugeben.«
Wo der weitere Verlauf des Pfades einigermaßen deutlich zu erkennen war - und sie der natürlichen Form der Landschaft folgen konnten -, überließ Richard Kahlan bergauf durch den Wald die Führung. War sie im Zweifel, sah sie sich nach Richard um, der ihr mit einem Blick oder Nicken die gewünschte Richtung vorgab oder ihr in einigen wenigen Fällen auch mit knappen Anweisungen weiterhalf.
Den örtlichen Gegebenheiten nach war Richard einigermaßen sicher, daß es einen alten Pfad über den Gebirgspaß gab. Dieser Paß, der von weitem wie eine Kerbe in der unüberwindbaren Wand des Gebirges aussah, war in Wirklichkeit nicht bloß ein kleiner Einschnitt, sondern ein breites Tal, das mäandernd zwischen den Bergen immer höher stieg. Richard war überzeugt; daß der von den Einwohnern Bandakars zur Verbannung mißliebiger Personen benutzte Pfad durch das Grenzgebiet nicht der einzige Weg über diesen Paß war. Dies mochte der Fall gewesen sein, solange die Grenze Bestand gehabt hatte, doch existierte diese ja jetzt nicht mehr.
Seine bisherigen Beobachtungen ließen vermuten, daß es einst noch einen anderen Weg gegeben hatte, in früheren Zeiten die Hauptverbindung von und nach Bandakar. Da und dort waren Vertiefungen zu erkennen, die er für Überreste jener alten, lange aufgegebenen Route hielt.
»Früher oder später werden die Riesenkrähen uns finden, meinst du nicht?«, fragte Jennsen. »Oder glaubst du etwa, wenn wir an der Stelle, wo sie uns erwarten, nicht wieder auftauchen, werden sie Ruhe geben, ehe sie uns gefunden haben? Du hast doch selbst gesagt, daß sie aus der Luft riesige Entfernungen überblicken und uns aufstöbern können.«
»Schon möglich. Aber solange wir unseren Verstand gebrauchen und in Deckung bleiben, dürften wir im Wald schwerlich auszumachen sein. Im offenen Gelände konnten sie uns schon aus einer Entfernung von vielen Meilen erkennen, hier dagegen dürfte ihnen das sehr viel schwerer fallen, es sei denn, sie befinden sich in unmittelbarer Nähe und wir sind unvorsichtig.
Wenn wir an der Stelle, wo der bekannte Pfad Bandakar erreicht, nicht auftauchen, haben sie ein riesiges Areal abzusuchen - und das, ohne zu wissen, in welcher Richtung sie uns suchen sollen -, was ihnen die Aufgabe, uns zu finden, zusätzlich erschwert.«
Jennsen ließ sich das durch den Kopf gehen, als sie in einen kleinen Birkenhain gelangten, wo Betty einen Baum auf der falschen Seite passierte, so daß Jennsen stehen bleiben mußte, um den Strick wieder zu entwirren. Alle zogen die Köpfe ein, als eine plötzliche Bö einen alles durchnässenden Schauer über ihnen niedergehen ließ.
»Und was willst du tun«, fragte Jennsen mit einer Stimme, kaum lauter als ein Flüstern, als sie ihn wieder eingeholt hatte, »wenn wir dort angekommen sind?«
»Ich werde mir das Gegenmittel beschaffen, damit ich nicht sterbe.«
»Das weiß ich doch.« Jennsen strich sich eine regennasse Haarlocke aus dem Gesicht. »Was ich meinte, ist, was wirst du hinsichtlich Owens Volk unternehmen?«
Jeder Atemzug erzeugte tief unten in seinen Lungen einen leichten, aber dennoch schmerzhaften Stich. »Im Moment vermag ich noch nicht einzuschätzen, was ich überhaupt tun kann.«
Jennsen ging eine Weile schweigend weiter. »Aber du wirst doch versuchen, ihnen zu helfen, oder?«
Richard warf seiner Schwester einen Seitenblick zu. »Jennsen, diese Leute drohen damit, mich umzubringen; und sie haben bewiesen, daß sie es ernst meinen.«
Verlegen zog sie die Schultern hoch. »Ich weiß, aber sie sind doch in einer verzweifelten Lage.« Mit einem kurzen Blick nach vorn vergewisserte sie sich, daß Owen nicht mithörte. »Sie haben sich nicht anders zu behelfen gewußt. Sie sind nicht wie du; sie haben noch nie gegen jemanden gekämpft.«
Richard holte tief Luft; der dadurch verursachte Schmerz schien ihm die Brust zusammenzuschnüren. »Du hast auch noch nie gegen jemanden gekämpft. Als du dachtest, ich wolle dich töten, so wie unser Vater, und glaubtest, ich sei für den Tod unserer Mutter verantwortlich, wie hast du dich da verhalten? Ich meine nicht ob du dich mir gegenüber korrekt verhalten hast, sondern wie hast du auf das Geschehen, so wie es sich in deinen Augen
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