Das Reich des dunklen Herrschers - 8
war, um einen Wagen aufzunehmen. Seine Suche nach patrouillierenden Soldaten blieb ergebnislos.
»Weißt du, ob die Soldaten der Imperialen Ordnung stets zusammenbleiben?«, fragte er Anson, der in den Schatten auf ihn wartete, bei seiner Rückkehr.
»Nachts ziehen sie sich zurück. Sie schlafen in unserem Langhaus gleich am Ortseingang.«
»Du meinst das gedrungene Gebäude, in dem die beiden Torposten verschwunden sind?«
»Genau. Früher hat sich nachts dort der größte Teil der Einwohnerschaft eingefunden, aber jetzt benutzen es die Männer der Imperialen Ordnung für sich allein.«
Richard musterte ihn stirnrunzelnd. »Soll das etwa heißen, ihr habt alle unter einem Dach geschlafen?«
Die Frage schien Anson leicht zu erstaunen. »Ja, sicher. Wir waren so oft wie möglich zusammen. Viele hatten ein Haus, in dem sie arbeiten, essen und ihren Besitz aufbewahren konnten, aber geschlafen haben sie dort nur selten. Gewöhnlich schliefen wir alle zusammen in den Schlafhäusern, nachdem wir dort zusammengekommen waren, um über die Ereignisse des Tages zu sprechen. Bisweilen kam es auch vor, daß jemand woanders übernachtete, meist aber schliefen wir alle zusammen dort.«
»Und alle haben sich … einfach nebeneinander hingelegt?«
Anson wandte verlegen den Blick ab. »Paare haben sich oft von den anderen abgesondert, indem sie sich unter einer gemeinsamen Decke verbargen, aber sie waren trotzdem nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen: nur daß sie im Dunkeln eben niemand sehen konnte, wenn sie … zusammen unter einer Decke lagen.«
Es bereitete Richard einige Mühe, sich diese Art des Zusammenlebens vorzustellen. »Der ganze Ort paßte in dieses Schlafhaus? Dort war für alle Platz?« »Nein, für ein einziges Schlafhaus waren wir zu viele. Es gibt noch ein zweites.« Anson zeigte darauf. »Es steht dort drüben, genau hinter dem einen, das Ihr bereits gesehen habt.«
»Dann sollten wir uns dort einmal umsehen.«
Sie begaben sich rasch zurück zu dem sogenannten Stadttor und den Schlafhäusern. Die Straße war menschenleer, und auch auf den Pfaden zwischen den einzelnen Häusern sah Richard keine Menschenseele. Wer im Ort zurückgeblieben war, war offenbar schlafen gegangen oder hatte Angst, bei Dunkelheit das Haus zu verlassen.
Eine Tür in einem der winzigen Wohnhäuser öffnete sich einen Spaltbreit, so als spähte jemand nach draußen. Schließlich wurde die Tür ganz geöffnet, und eine schmächtige Gestalt kam heraus und lief auf sie zu.
»Ansonl«, zischte eine flüsternde Stimme.
Der Junge war vielleicht fünfzehn Jahre alt. Er ließ sich auf die Knie fallen, umklammerte Ansons Arm und küßte ihm vor Freude über das Wiedersehen die Hand.
»Ich bin so froh, daß du wieder zu Hause bist, Anson! Wir haben dich so vermißt. Wir hatten große Angst um dich - wir dachten, du wärst vielleicht ermordet worden.«
Anson packte den Jungen bei seinem Hemd und zog ihn wieder auf die Beine. »Bernie, es geht mir gut, und ich freue mich zu sehen, daß du wohlauf bist, aber jetzt mußt du wieder zurück ins Haus. Die Soldaten könnten dich sehen. Wenn sie dich auf der Straße antreffen …«
»Bitte, Anson, schlaf doch bei uns zu Hause. Wir sind so allein und fürchten uns so.«
»Wer ist wir?«
»Jetzt nur noch ich und Großvater. Bitte komm mit und bleib bei uns.«
»Das geht im Augenblick nicht. Vielleicht ein andermal.«
Der Junge sah hoch zu Richard und wich, als er merkte, daß er ihn nicht kannte, erschrocken zurück.
»Das ist ein Freund von mir, Bernie - aus einem anderen Ort.« Anson ging neben dem Jungen in die Hocke. »Bitte, Bernie, ich komme ja wieder, aber jetzt mußt du ins Haus zurückgehen und die Nacht über dort bleiben. Laß dich draußen nicht blicken. Wir fürchten, daß es Ärger geben könnte. Bleib zu Hause und richte deinem Großvater aus, was ich gesagt habe, in Ordnung?«
Schließlich hatte Bernie ein Einsehen und lief wieder zu dem dunklen Hauseingang zurück. Richard hatte es eilig, den Ort zu verlassen, ehe noch jemand auftauchte, um ihnen seine Aufwartung zu machen. Wenn er und Anson nicht acht gaben, würden sie am Ende noch die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich ziehen.
Mit schnellen Schritten liefen sie bis zum Ende der Straße, indem sie die Häuser als Deckung benutzten. Den Rücken an die Seitenwand eines Gebäudes ganz am Ende der Straße gepreßt, spähte Richard vorsichtig um die Ecke, hinüber zu dem aus Flechtwerk und Lehm errichteten Schlafhaus,
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