Das Reich des Lichts
Kupferstich, der mindestens fünfhundert Jahre alt sein muss. Er ist sehr detailgetreu. Man sieht sogar einige Überreste der Stadtmauer. Damals war es eine nicht besonders große, aber sehr bevölkerungsreiche Stadt. Der Park, die Hauptstraße, das Gemeindehaus und das Regierungsgebäude sind ganz deutlich zu erkennen. Und …
„Die Stiftung!“, rufe ich. „Nein, warte … Sie steht an derselben Stelle, aber das Gebäude sieht anders aus … Es ist dreieckig!“
„Du musst dich irren. Die Stiftung ist rechteckig.“
„Wie ist das möglich? Das muss ein Fehler sein … Schau mal genau hin! Es ist die Stiftung, und sie ist dreieckig!“
Metáfora hält sich das Buch dicht vor die Augen und streicht mit dem Zeigefinger über die Zeichnung.
„Das ist genau die Stelle, an der die Stiftung gestanden hat, kein Zweifel. Aber das Gebäude ist eindeutig dreieckig …“
„Genau! Wie die Mauer, auf die wir unten im Keller gestoßen sind. Der Drachenbuchstabe, das Symbol auf den Münzen … überall taucht das Dreieck auf.“
„Und wie wir jetzt ja wissen, stellt es den Buchstaben A dar.“
„A wie Arquimia“, murmele ich.
„Ja. Aus der Vogelperspektive konnte man erkennen, dass der Grundriss des Gebäudes ein liegendes A war.“
„Das bedeutet, die Transversalmauer im Keller der Stiftung muss früher einmal sehr hoch gewesen sein“, schlussfolgere ich.
„Nicht unbedingt. Das bedeutet nur, dass man die Stiftung über den Ruinen errichtet hat. Wie den Turm von Pisa, der von einer Schicht umgeben ist wie von einer Schutzhülle, um zu verhindern, dass er einstürzt.“
„Aber warum hat man über der Mauer die Stiftung errichtet? Was wollte man verbergen?“
„Vielleicht das Drachenzeichen, das sich auf dem Dach befunden haben muss … Es könnte natürlich auch so sein, dass die Zeit das ursprüngliche Gebäude unter sich begraben hat.“
„Das würde heißen, dass es lange leer gestanden hat.“
„Oder dass kein Platz zum Bauen war und man deshalb Gebäude auf den alten Ruinen errichtet hat. Bekanntlich ist Férenix von Bergen umgeben und kann sich nicht weiter ausbreiten.“
„Stimmt, Férenix ist ein kleines Land.“
„Ein kleines Königreich ohne König.“
„Gibt es noch mehr solcher Reiche?“
„Natürlich, so wie es Fürstentümer ohne Fürsten gibt. Es gibt Länder, die man auf großen Landkarten kaum findet. Die Welt ist voll von Städten, die sich zu kleinen Ländern entwickelt haben. Wie Férenix.“
„Sieh mal, hier ist ein Zeitungsausschnitt“, sagt Metáfora plötzlich und fischt ein gefaltetes Papier aus den Buchseiten. „Das muss jemand vergessen haben. Eine Reportage über Férenix. Soll ich’s dir vorlesen?“
„Ja, aber nicht zu laut, wir befinden uns in einer Bibliothek.“
„Also, hör zu …
Im Zentrum von Europa gelegen, besteht der Stadtstaat Férenix aus mehreren Ortschaften, von denen Drácamont die bedeutendste ist. Hervorzuheben ist die Schlucht der Heißen Hand wegen der geografischen und kulturhistorischen Besonderheit.
Das Tal, in das Férenix eingebettet ist, wird beherrscht vom Monte Fer, der der Stadt ihren Namen gegeben hat, möglicherweise eine Anspielung auf den mythologischen Vogel Phönix, der aus seiner Asche wiedergeboren wurde.
Archäologen, Mittelalterforscher und einschlägige Experten von Weltruf haben versucht, die Geschichte von Férenix zurückzuverfolgen. Lange Zeit wurde die unabhängige Stadt von einer Monarchie regiert. Bisher ist nicht bekannt, warum dieses Königsgeschlecht ausgestorben ist.
Zurzeit wird der Stadtstaat von einem Senat verwaltet, bestehend aus einem Präsidenten und elf Ministern, die alle vier Jahre gewählt werden.
Doch nicht alle Bewohner von Férenix haben die ehemalige Pracht vergessen. Einige der bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt haben sich zu einem „Komitee zur Wiedereinsetzung der Monarchie“ zusammengeschlossen. Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, eindeutige, unwiderlegbare Beweise beizubringen, um einem Nachkommen der königlichen Familie die Rückkehr auf den verwaisten Thron zu ermöglichen. Allerdings stößt die Initiative, die von der Mehrheit der Bevölkerung begrüßt wird, in bestimmten Kreisen der Gesellschaft auf gewisse Vorbehalte.“
„Wer hat den Artikel unterzeichnet?“, frage ich, noch ganz benommen von dem, was Metáfora soeben vorgelesen hat.
„Leblanc … Hör mal, es geht noch weiter …
Die Experten vermuten, dass Férenix im 10. Jahrhundert entstanden ist, und
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