Das Reigate-Rätsel
verdanken, daß ich heute wieder soweit hergestellt bin, daß ich mit Ihnen reden kann. Miss Harrison hat mich tagsüber gepflegt, nachts kam eine angestellte Pflegerin. Es war nötig, daß ständig jemand um mich war, denn wenn ich wieder einen Anfall bekam, war ich zu allem fähig. Langsam jedoch kehrte mein Verstand zurück. Aber erst richtig klar und vernünftig denken kann ich erst seit drei Tagen wieder. Als ich wieder zu mir kam, habe ich als erstes Mr. Forbes telegraphiert, der den Fall ja zu bearbeiten hat.
Er kam zu uns heraus. Er versicherte mir, daß alles Erdenkliche getan worden sei, daß es jedoch keinerlei Spuren oder Hinweise gebe. Der Pförtner und seine Frau waren zu wiederholten Malen verhört worden, aber aus ihnen war nichts herauszubekommen. Die Polizei hat den jungen Gorot in Verdacht. Sie erinnern sich, daß mein Kollege nach der allgemeinen Arbeitszeit noch zurückblieb, weil er etwas aufzuarbeiten hatte. Aber der Verdacht steht auf dünnen Beinen, er begründet sich nämlich nur auf die Tatsache, daß er zurückblieb, und auf seinen französischen Namen. Aber ich hatte mit der Arbeit erst begonnen, als er schon gegangen war. Außerdem stammt er zwar aus einer hugenottischen Familie, aber er lebt in britischer Tradition wie Sie und ich. Es ist im übrigen auch nichts gefunden, was ihn hätte verdächtig machen können. So wurde der Verdacht gegen ihn fallengelassen. Nun wende ich mich an Sie, Mr. Holmes, denn Sie sind wirklich meine letzte Hoffnung. Wenn auch Sie versagen, dann sind meine Ehre sowohl als meine Berufsziele ein für allemal dahin.«
Der Kranke war in seine Kissen zurückgesunken, ermattet durch den langen Bericht. Die Frau goß ihm ein Glas einer anregenden Medizin ein. Holmes saß schweigend in seinem Sessel. Er hatte seinen Kopf zurückgelehnt und die Augen geschlossen. In dieser Haltung wirkte er für Fremde müde und uninteressiert, aber ich weiß, daß sein Geist in solchen Augenblicken sehr intensiv beschäftigt ist.
»Ihr Bericht war sehr exakt und genau«, sagte er schließlich, »so daß ich Ihnen nur noch ein paar Fragen stellen muß. Aber eine Frage ist unerhört wichtig: Haben Sie jemandem erzählt, daß Sie einen Spezialfall zu bearbeiten hatten?«
»Nein, niemandem.«
»Auch nicht Miss Harrison?«
»Nein, denn zwischen der Auftragserteilung und Ausführung war ich nicht wieder in Woking gewesen.«
»Und Sie haben in der Zwischenzeit auch keinen Ihrer Freunde und Verwandten gesehen?«
»Nein, niemanden.«
»Kannten sich Ihre Familienmitglieder in den Räumlichkeiten aus?«
»O ja, alle waren schon einmal durch das Innenministerium geführt worden. «
»Nun, es spielt ja auch keine Rolle, wenn Sie sagen, daß Sie mit niemandem über den wichtigen Auftrag gesprochen haben. »Ich habe wirklich mit niemandem darüber gesprochen.« »Was wissen Sie von dem Pförtner?
»Nichts, außer daß er ein alter Soldat ist.«
»In welchem Regiment?«
»Soweit ich weiß, war er bei den Goldstream Guards.«
»Vielen Dank. Alle weiteren Einzelheiten werde ich wohl von Forbes erfahren. Die offizielle Polizei arbeitet ganz ausgezeichnet, wenn es darum geht, Detailwissen anzuhäufen, wenn sie auch nicht immer recht in der Lage sind, sie für sich nutzbar zu machen. Ah, was für eine herrliche Blume doch die Rose ist! « Ei ging an der Couch vorbei zu dem offenen Fenster, dann nahm er den gebeugten Stengel einer Moosrose in die Hand und schaute auf die feinen Farbabstimmungen von Rot und Grün. Dieser Zug erschien mir neu an ihm, denn ich hatte noch nie vorher bemerkt, daß er sich für die Natur interessierte.
»Nirgendwo ist die Kunst der logischen Schlußfolgerung nötiger als in der Religion«, sagte er und lehnte sich gegen die Fensterläden zurück, »von einem logisch denkenden Menschen kann sie wie eine exakte Wissenschaft aufgebaut werden. Unsere höchste Zusicherung, daß die Vorsehung es gut mit uns meint, scheint mir in den Blumen zu liegen. Alles andere, unsere Kraft, Wünsche, Nahrung gehören notwendigerweise zum Leben dazu. Die Rose jedoch ist ein Extra.
Ihr Duft und ihre Farben sind eine Bereicherung des Lebens, nicht eine Lebensnotwendigkeit an sich. Nur Güte kann soviel extra geben. Darum sage ich noch einmal, daß meine Hoffnung in dieser Blume begründet ist. « Percy Phelps und seine Pflegerin hatten Sherlock Holmes mit sehr überraschten, jedoch auch enttäuschten Gesichtern angesehen. Mit der Rose in der Hand war er in Schwärmereien versunken.
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