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Das Reigate-Rätsel

Das Reigate-Rätsel

Titel: Das Reigate-Rätsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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aufgeklärt.
    Miss Morris ist ein zierliches, elfengleiches Wesen. Sie hat große, scheue Augen und blondes Haar, dazu aber einen durchaus praktischen irdischen Sinn. Nachdem ich ihr die Umstände klar dargelegt hatte, saß sie eine Weile schweigend da und dachte nach. Dann wandte sie sich mit großer Entschiedenheit an mich. Sie kam mit einem seltsamen Bericht heraus, den ich Ihnen jetzt weitergeben werde:
    >Ich habe es meiner Freundin versprochen, nichts von der Sache zu verraten<, sagte sie. >Und ein Versprechen ist ein Versprechen. Wenn ihr jedoch eine so ernste Anklage ins Haus steht und die Lippen meiner armen, lieben Freundin durch Krankheit verschlossen sind, dann bin ich wohl von dem Versprechen entbunden. Ich werde Ihnen genau erzählen, was am Montagabend geschehen ist.
    Um viertel vor neun Uhr kamen wir von dem Missionshaus in der Watt Street zurück. Unser Heimweg führte uns durch die Hudson Street, die eine sehr steile Straße ist und in der es auf der linken Seite nur eine einzige Lampe gibt. Als wir auf diese Lampe zugingen, kam uns ein buckliger Mann entgegen, der einen Käfig auf den Schultern trug. Der Mann schien sehr verkrüppelt zu sein, denn er trug seinen Kopf tief gebeugt, und beim Gehen knickte er die Knie merkwürdig ein. Wir trafen einander unter der Lampe, und er erhob auch gerade in diesem Augenblick seinen Kopf und sah uns an.
    Plötzlich blieb er stehen und rief mit einer schrecklichen Stimme aus: >Mein Gott, das ist ja Nancy!< Mrs. Barklay wurde weiß wie der Tod, sie schwankte und wäre beinahe ohnmächtig geworden.
    Gewiß wäre sie hingefallen, wenn diese schreckliche Kreatur sie nicht aufgefangen hätte. Ich war schon dabei, die Polizei zu holen, aber sie sprach zu meiner Überraschung ganz freundlich zu ihm. >Dreißig Jahre habe ich dich für tot gehalten, Henry!< sagte sie mit zitternder Stimme.
    >Ja, das war ich auch!< sagte er, und es war schrecklich anzuhören, in was für einem Ton er das sagte. Er hatte ein sehr dunkles, furchterregendes Gesicht. Ich glaube, von dem seltsamen Glitzern in seinen Augen werde ich noch träumen. Sein Haar und der Bart waren mit weißen Strähnen durchzogen, und sein Gesicht war faltig wie die Haut eines alten Apfels. >Geh ein bißchen voraus, meine Liebe<, sagte sie zu mir. >Ich muß ein paar Worte mit diesem Mann sprechen. Es gibt nichts, wovor du Angst haben müßtest.< Sie versuchte, ganz ruhig zu sprechen, aber sie war immer noch furchtbar blaß, und es fiel ihr schwer, überhaupt Worte über ihre zitternden Lippen zu bringen.
    Ich tat, worum sie mich gebeten hatte. Der Mann und Mrs. Barklay gingen eine Weile nebeneinander her. Dann kam sie mit glühenden Augen die Straße herunter auf mich zu. Der Mann stand immer noch unter der Lampe und schüttelte zornig seine Fäuste gegen den Himmel, als ob er halb verrückt vor Wut sei. Sie aber nahm meine Hand und bat mich, niemandem zu sagen, was ich gesehen und gehört hatte.
    >Er ist ein alter Bekannter von mir, dem es jetzt nicht so gut geht<, sagte sie. Ich versprach ihr, niemandem ein Wort zu sagen, und sie küßte mich daraufhin. Seither habe ich sie nicht wieder gesehen. Ich habe Ihnen nun die Wahrheit gesagt, die ich vor der Polizei zurückgehalten habe, denn ich wußte ja nicht, in welcher Gefahr sie sich befindet. Ich weiß jetzt, daß es nur gut für sie sein kann, daß ich alles offen gesagt habe.<
    Das war der Bericht, Wa tson. Für mich bedeutete das Licht in- mitten einer dunklen Nacht. Alles, was bisher vereinzelt dastand und nicht recht zusammenpassen wollte, nahm nun seinen richtigen Platz ein. Ich ahnte plötzlich, welch ein Drama der ganzen Tragik zugrunde liegen konnte. Mein nächster Schritt war nun klar, ich mußte den Menschen finden, der einen solchen Eindruck auf Mrs. Barklay machen konnte. Falls er immer noch in Aldershot war, durfte es keine große Schwierigkeit bereiten, ihn zu finden. Sehr viele Zivilisten gibt es in der Stadt nämlich nicht, und ein derartig verkrüppelter Mensch fällt immer auf. Einen ganzen Tag lang habe ich nach ihm gesucht, und heute Abend, ja heute Abend, Watson, heute Abend habe ich ihn gefunden. Sein Name ist Henry Wood, und er wohnt in einem möblierten Zimmer genau in der Straße, in der Mrs. Barklay ihn getroffen hatte. Er war erst fünf Tage an diesem Ort. In meiner Verkleidung als Beamter vom Einwohnermeldeamt hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit seiner Wirtin.
    Der Mann ist von Beruf Jongleur und Schauspieler. Abends geht er

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