Das Reigate-Rätsel
bewegt, und wir haben die Maße seiner Schritte. In jedem Fall waren diese Schritte immer nur etwa 7 Zentimeter lang. Sie müssen sich nun also ein Tier mit einem langen Körper und sehr kurzen Beinen vorstellen. Schade, daß es keine Haare zurückgelassen hat. Aber in seiner äußeren Form muß es so gewesen sein, wie ich es Ihnen beschrieben habe. Es konnte die Gardinen hinaufklettern. Und ein Fleischfresser ist es auch.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil es die Gardinen hinauflief. Der Käfig des Kanarienvogels hängt im Fenster. Es schien entschlossen zu sein, den Vogel zu fangen.«
»Was für ein Tier kann das bloß gewesen sein?«
»Wenn wir das wüßten, wäre das Problem gelöst. Ich nehme an, daß es sich um eine Art Wiesel handelt. Und doch ist es viel größer als jedes Wiesel, das ich bisher gesehen habe. «
»Aber was kann es denn mit dem Verbrechen zu tun haben?«
»Das weiß ich auch noch nicht. Aber Sie geben doch sicherlich zu, daß wir inzwischen schon eine ganze Menge gelernt haben. Wir wissen nun, daß der Mann auf der Straße gestanden hat und den Barklays bei ihrem Streit zugesehen haben muß. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, die Lampe jedoch angezündet. Wir wissen, daß der Mann über den Rasen gelaufen ist, daß er das Zimmer betreten hat und daß er in Begleitung eines fremdartigen Tieres war. Wir wissen, daß er entweder den Colonel erschlagen hat, oder, was wahrscheinlicher ist, daß der Colonel vor lauter Angst hingefallen ist und sich die tödliche Wunde am Schutzblech des Kamins zugezogen hat.
Ferner wissen wir, daß dieser Fremde seltsamerweise den Zimmerschlüssel mitgenommen haben muß. «
»Was Sie inzwischen herausgefunden haben, scheint die Sache eher zu verdunkeln als sie zu erhellen«, sagte ich.
»Richtig. Es hat sich herausgestellt, daß die Geschichte verworrener und dunkler ist, als am Anfang angenommen wurde. Ich habe darüber nachgedacht, und nun bin ich zu dem Schluß gekommen, daß man die Angelegenheit von einer anderen Seite her angehen muß. - Aber ich halte Sie wirklich zu lange von Ihrem Schlaf ab, Watson. Ich kann Ihnen den Rest genausogut morgen auf der Fahrt nach Aldershot erzählen.«
»Nett von Ihnen. Aber Sie haben mir nun schon soviel erzählt, nun dürfen Sie nicht mittendrin aufhören. «
»Eines steht also fest: Als Mrs. Barklay um sieben Uhr dreißig das Haus verließ, war sie in gutem Einvernehmen mit ihrem Mann. Sie hat niemals übertrieben viel Gefühl für ihn gezeigt, jedoch der Kutscher hörte noch, wie sie ein paar freundliche Worte mit ihrem Mann wechselte. Genauso gewiß ist, daß sie nach ihrer Rückkehr ein Zimmer benutzte, in dem sie ihren Mann mit Sicherheit nicht antreffen würde. Sie hat Zuflucht zum Tee gesucht, wie alle aufgeregten Frauen es zu tun pflegen. Als ihr Mann dann schließlich zu ihr kommt, gibt es einen gewaltigen Familienkrach, der offensichtlich von ihr vom Zaun gebrochen wird. Darum muß in der Zeit zwischen sieben Uhr dreißig und neun Uhr etwas geschehen sein, was ihr Verhalten ihm gegenüber völlig verändert hat.
Während dieser Zeit war aber Miss Morris die ganze Zeit bei ihr. Es ist also klar, daß sie trotz aller gegenteiligen Behauptungen etwas gewußt haben mußte. Zunächst habe ich angenommen, daß es zwischen dieser jungen Frau und dem alten Soldaten etwas gegeben hat, was diese der Ehefrau auf dem Wege gebeichtet hat. Das spräche für die ärgerlichen Stimmen und ebenfalls für die Behauptung des Mädchens, von nichts etwas gewußt zu haben. Es würde auch zu den Satzfetzen passen, die das Personal überhört hat. Aber dann war da der Name David. Außerdem wußte jeder, wie sehr der Colonel an seiner Frau hing. Diese Tatsache muß als Gegengewicht gewertet werden. Schließlich war da noch der Einbruch des anderen Mannes, der allerdings mit dem Streit des Ehepaares nichts zu tun gehabt hat. Es war nicht leicht, die richtige Theorie zu finden, aber im großen und ganzen sah ich davon ab, daß es zwischen dem Colonel und Miss Morris ein Verhältnis oder etwas Ähnliches gegeben hat. Aber ich ahnte, daß die junge Frau einen wichtigen Hinweis in der Hand hielt. Von ihr würden wir erfahren, was den Haß der Dame gegen ihren Mann so plötzlich ausbrechen ließ. Ich tat dann das einzig Vernünftige, ging zu Miss Morris und erklärte ihr in aller Ruhe, daß wohl kein Weg drum herumführe, daß Mrs. Barklay wegen Mordes vor Gericht gestellt würde, es sei denn, die Sache würde vorher
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