Das Reigate-Rätsel
lebend gesehen.
Der bestellte Tee wurde nach zehn Minuten gebracht. Als sich das Mädchen dem Zimmer näherte, hörte sie, wie sich Hausfrau und Herr laut und zornig anbrüllten. Sie klopfte, bekam aber keine Antwort. Sie drehte am Türgriff, aber die Tür war von innen verschlossen. Natürlich lief sie sogleich zu der Köchin, um zu berichten, was geschehen war. Darauf kamen beide Frauen und dazu der Kutscher in die Halle gelaufen, um dem Disput zu lauschen, der immer noch laut und heftig geführt wurde. Sie waren sich später alle einig, nur zwei Stimmen gehört zu haben, die ; von Barklay und von seiner Frau. Barklays Stimme war leiser als die seiner Frau, keiner von den Lauschern konnte recht verstehen, was er sagte. Die Dame jedoch schien sehr erbittert zu sein.
Man hatte sie deutlich >Du Feigling< sagen hören. Auch hat sie mehrere Male den Satz wiederholt >Was soll nun werden? Gib mir mein Leben wieder. Ich will nicht mehr die gleiche Luft mit dir zusammen atmen! Du Feigling, du entsetzlicher Feigling!< Dies waren die letzten Wortfetzen des Streites, denn gleich darauf hörten sie den furchtbaren Schrei des Mannes, danach ein Krachen und den durchdringenden Schrei der Frau. Die Drau-
ßenstehenden waren nun völlig überzeugt, daß sich drinnen eine Tragödie ereignete. Mit aller Macht stemmte sich der Kutscher gegen die Tür, während drinnen Schrei auf Schrei erfolgte. Es gelang ihm jedoch nicht, die Tür aufzubrechen, und die Frauen waren viel zu ängstlich, um richtig mit anzupacken. Plötzlich jedoch kam ihm eine Idee. Er lief durch die Tür der Halle, um das Haus herum auf den Rasen, auf den die großen Fenstertüren hinausblickten. Einer der beiden Türflügel stand weit offen. Das war selbst im Sommer unüblich, er aber konnte so ohne Schwierigkeiten in das Haus gelangen. Die Dame des Hauses hatte mit dem Schreien aufgehört, sie war bewußtlos auf eine Couch gesunken. Der unglückliche Soldat aber lag tot in einer Blutlache, mit den Füßen schien er im Fallen einen Sessel umgerissen zu haben, und der Kopf war vor dem Kamin aufgeschlagen.
Nachdem der Kutscher festgestellt hatte, daß er für seinen Herrn nichts mehr tun konnte, dachte er daran, die Tür zu öffnen. Aber es tauchte eine unerwartete, seltsame Schwierigkeit auf, der Schlüssel steckte nicht auf der Innenseite des Schlosses, konnte auch im ganzen Zimmer nicht gefunden werden. Er mußte also wieder durch das Fenster ins Freie gelangen. Danach holte er die Polizei und einen Arzt. Der erste Verdacht fiel natürlich auf die Dame, die alsbald in ihr Zimmer gebracht wurde. Aber sie hat das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt. Die Leiche des Colonels wurde dann auf das Sofa gebettet und das Zimmer einer gründlichen Examination unterzogen.
Die Wunde, an der der unglückliche alte Veteran gestorben war, stammte von einem heftigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf. Schwierigkeiten mit dem Auffinden der Mordwaffe gab es keine, denn direkt neben der Le iche lag ein Schlagstock, aus hartem Holz geschnitzt und mit einem Griff versehen. Der Colonel besaß eine ansehnliche Waffensammlung, die er sich aus aller Herren Länder, in denen er mit seinem Regiment gekämpft hatte, mitgebracht hatte. Die Polizei nimmt an, daß dieser Schlagstock in seine eigene Waffensammlung gehörte.
Die Sergeanten meinten zwar, dieses Stück noch niemals gesehen zu haben, aber das Haus war voller Kuriositäten, so daß man ein einzelnes Stück schon einmal übersehen kann. Ansonsten konnte die Polizei keinen wichtigen Hinweis auf den Mord finden, ausgenommen natürlich jenen sonderbaren Umstand, daß der verschwundene Schlüssel weder bei der immer noch bewußtlosen Mrs. Barklay, noch bei der Leiche und auch im ganzen Haus nicht gefunden werden konnte. Ein Grobschmied aus Aldershot mußte schließlich die Tür öffnen.
So standen die Dinge, als ich am Dienstag von Major Murphy gebeten wurde, der Polizei bei der Untersuchung zu helfen. Sicherlich können Sie verstehen, daß dies ein Problem so recht nach meinem Herzen ist. Während der Untersuchungen wurde mir jedoch nach und nach klar, daß dieser Fall merkwürdiger und interessanter ist, als wir zunächst von seiner Oberfläche her angenommen hatten.
Bevor ich mir das Zimmer ansah, habe ich das Personal ins Kreuzverhör genommen. Aber ich bekam nicht mehr heraus, als' ich schon wußte. Jane Steward, das Hausmädchen, erinnerte, sich jedoch an ein bestimmtes Detail. Ich erzählte Ihnen bereits,
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