Das Reigate-Rätsel
war, mit tiefstem Interesse gelauscht. Holmes, der selber auf die feinsten Einzelheiten reagierte, hatte sie in seiner feinen Art konstruiert. Aber selbst als er uns die Abläufe erklärte, konnte ich ihm in seiner logischen Folgerung kaum folgen. Der Inspektor war inzwischen fortgeeilt, um eine Fahndung nach dem Pagen einzuleiten, wä hrend Holmes und ich in die Baker Street zu einem späten Frühstück zurückkehrten.
»Ich werde um drei Uhr zurück sein«, sagte er, als wir unsere Mahlzeit beendet hatten. »Sowohl der Doktor als auch der Inspektor werden um diese Zeit hier sein. Ich hoffe, daß ich bis dahin die letzten kleinen Unklarheiten dieses Falles aufgeklärt haben werde. «
Unsere Besucher trafen zu der angegebenen Zeit ein. Aber es war schon Viertel nach vier, als mein Freund endlich erschien. Von seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, konnte ich folgern, daß es ihm inzwischen gut gegangen war.
»Irgendwelche Neuigkeiten, Inspektor?«
»Wir haben den jungen Pagen, Sir.«
»Ausgezeichnet! Und ich habe die Männer!«
»Dann haben wir sie alle!« riefen alle drei.
»Na ja, wenigstens habe ich ihre Identität festgestellt. Dieser Blessington ist, wie ich schon vermutet habe, im Hauptquartier von Scotland Yard bestens bekannt, ebenso wie seine Mörder keine Neulinge für den Yard sind. Ihre Namen sind Biddle, Hayward und Moffat. «
»Die Worthington-Bank-Bande!« rief der Inspektor. »Ganz richtig«, sagte Holmes.
»Dann muß dieser Blessington in Wirklichkeit Sutton gewesen sein. «
»Genau richtig«, sagte Holmes.
»Nun, dann ist ja alles glasklar«, sagte der Inspektor. Aber Trevelyan und ich schauten einander voller Staunen an und verstanden nichts.
»Sie erinnern sich doch sicherlich an die große Worthington-Bank-Geschichte. Fünf Männer waren beteiligt - diese vier Leute und ein fünfter Mann, Cartwright mit Namen. Tobin, der Wächter, wurde ermordet, aber die Diebe kamen mit siebentausend Pfund davon. Dies war 1875.
Alle fünf wurden sie verhaftet, jedoch die Beweisführung war sehr lückenhaft. Aber Blessington, oder wie er mit richtigem Namen hieß, Sutton, wurde zum Verräter der Bande.
Auf Grund seines Zeugenberichtes wurde Cartwright gehängt. Die anderen bekamen jeder fünfzehn Jahre Zuchthausstrafe. Vor kurzer Zeit wurden sie begnadigt, ein paar Jahre, bevor ihre Zeit eigentlich herum war. Sie machten sich daran, den Verräter zu suchen und den Tod ihres Kameraden zu rächen. Zweimal versuchten sie ihn zu fangen, aber beide Male schlug der Versuch fehl. Beim dritten Mal hat es, wie Sie sehen, geklappt. Gibt es noch etwas, Dr.
Trevelyan, was ich Ihnen erklären müßte?«
»Ich glaube, es ist Ihnen auf Ihre ganz besondere Art gelungen, uns die Tatbestände und Hintergründe zu erklären«, sagte der Doktor. »Kein Zweifel, an jenem Tag, als er so verstört war, da hatte er in der Zeitung von der Entlassung seiner alten Kumpel gelesen.«
»Richtig, sein ganzes Gerede von Einbrüchen war nur, um Sie abzulenken.«
»Aber warum konnte er Ihnen nicht die Wahrheit sagen?« »Mein lieber Sir, er kannte den Charakter seiner alten Gesellen und wollte seine wahre Identität so lange wie möglich verbergen.
Er hatte ein beschämendes Geheimnis zu verbergen. Verstehen Sie, er konnte es nicht über sich bringen, darüber zu reden. Immerhin, er war zwar ein Galgenvogel, aber er lebte doch immerhin im Rahmen des britischen Gesetzes. Ich bezweifle nicht, Inspektor, daß, wenn auch der Schild versagt, der beschützen sollte, das Schwert der Gerechtigkeit immer noch strafen kann.«
So also stand es mit dem ehemaligen Hauspatienten des Dr. Trevelyan aus der Brook Street.
Allerdings sah und hörte Scotland Yard von den drei Mördern nichts mehr. In Polizeikreisen wird angenommen, daß sie unter den Passagieren des vom Schicksal geschlagenen Schiffes >Norah Creina< waren, das mit Mann und Maus vor der portugiesischen Küste, einige Meilen nördlich von Oporto, unterging. Das Gerichtsverfahren gegen den Pagen wurde aus Mangel an Beweisen fallengelassen. Auch das Brook-Street-Geheimnis, wie es später genannt wurde, ist noch nie in Form eines gedruckten Berichtes an die Öffentlichkeit weitergegeben worden.
Der griechische Dolmetscher
Obgleich ich Sherlock Holmes nun schon so lange kenne, habe ich ihn doch nie von seiner Familie oder seinem früheren Leben
reden hören. Was seine Vergangenheit anbelangte, wai er so zurückhaltend, daß er fast unmenschlich wirkte. Manchmal sah ich in ihm ein
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