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Das Reisebureau Thompson und Comp.

Das Reisebureau Thompson und Comp.

Titel: Das Reisebureau Thompson und Comp. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Verne
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sitzt noch still da, den Kopf auf den ausgestreckten Arm gelehnt. Noch immer rieselt der Staubregen herab. Er achtet nicht darauf, in seiner zunehmenden Traurigkeit bemerkt er es überhaupt nicht.
    Vor ihm entrollt sich das Bild seiner ganzen Vergangenheit: seine Mutter, die er kaum deutlich erkennt, erscheint ihm, die Hochschule, wo er sich so glücklich gefühlt hat, und dann… ach, sein Vater! Nachher die unglücklichen Ereignisse, die seine ganze Existenz so tief erschüttert haben. Wer hätte ihm wohl jemals prophezeit, daß er sich eines Tags allein, ohne Freunde, ohne alle Mittel, zum Dolmetscher verwandelt auf einer Reise begriffen wiederfinden würde, deren trauriger Anfang im Nebel, im Dunkeln und im Regen vielleicht schon ihren Ausgang andeutete?
    Wie lange ihn dieser Schwächeanfall in Fesseln schlagen würde, wußte er nicht, da schnellte er durch einen Tumult in die Höhe. Gebrumm, Aufschreie, Verwünschungen. Schwere Stiefel hämmern auf das Deck. Dann ein entsetzliches Scharren von Eisen gegen Eisen, eine ungeheure Masse schiebt sich an Backbord hin, um sofort wieder in der Finsternis zu verschwinden.
    An den Fenstern zeigten sich erbleichte Gesichter; das Deck füllte sich mit zum Tode erschrocknen Passagieren. Doch die Stimme des Kapitäns beruhigte die allgemeine Aufregung.
    Der Zwischenfall war ohne Bedeutung.
    »Ja, für diesmal!« murmelte Robert für sich, als er das Spardeck wieder bestieg, während das Hauptdeck sich allmählich leerte.
    Das Wetter schlug von neuem um. Der Regen, der nach und nach heftiger geworden war, hörte wie mit einem Schlage auf.
    Schnell trat eine sichtbare Veränderung ein. Die Wolken jagten förmlich am Himmel hin, glänzend flimmerten daran die Sterne und die niedrigen Ufer des Stromes wurden erkennbar.
    Robert Morgan sah nach der Uhr; es war jetzt ein Viertel auf zehn.
    Die Lichter von Greenwich waren längst in der Ferne verschwunden. Hinter dem Backbord schimmerten am Horizonte noch die von Woolwich, und weit draußen blitzte das Leuchtfeuer von Stoneneß. Als dieses passiert war, sah man das von Broadneß. Um zehn Uhr kam der Dampfer an den Leuchtfeuern von Tilburyneß vorüber und zwanzig Minuten später wurde die Coalhouse-Spitze umschifft.
     

    Morgan konnte sie ungestört betrachten. (S. 33.)
     
    Morgan bemerkte jetzt, daß das Spardeck noch einen zweiten Nachtwandler hatte. Zehn Schritte von sich entfernt, sah er eine Zigarette glimmen. Er setzte seine Promenade noch ein Stück weit gleichgültig fort, dann trat er, ohne Willen dahin geführt, an das Oberlichtfenster des großen Salons.
    Im Schiffe drin herrschte tiefes Schweigen. Die Passagiere hatten einer nach dem andern ihre Kabine aufgesucht. Der große Salon war leer.
    Nur eine Dame, Morgan gegenüber, las noch, halb ausgestreckt auf einem Divan liegend, in einem Buche. Er konnte sie ungestört betrachten, konnte die hell beleuchteten zarten Züge erkennen, die blonden Haare und die dunkeln Augen sehen, ebenso wie den schlanken Wuchs und den kleinen Fuß, der aus einem eleganten Unterkleide hervorlugte. Er bewunderte die Grazie ihrer Haltung und die Schönheit der Hand, die die Blätter des Buches umwendete. Wahrlich, das war eine reizende Reisegenossin, und kurze Zeit verlor er sich völlig in ihre Betrachtung.
    Der Raucher machte da aber eine Bewegung, hustete und stieß mit dem Fuße auf. Beschämt über seine Indiskretion, entfernte sich Morgan von dem Oberlichtfenster und setzte seinen Spaziergang wieder fort.
    Immer weiter folgte ein Leuchtturm dem andern. Zehn Minuten nach elf Uhr befand sich das Schiff gegenüber der Signalstation. In der Ferne sah man schon die Lichter von Nore und Great-Nore, zwei Wachtposten ähnlich, verloren im Ozeane.
    Morgan beschloß nun, sich zur Ruhe zu begeben. Er verließ das Spardeck, ging die nach den Kabinen führende Treppe hinunter und im Gange weiter, doch gleich einem Träumer, ohne Aufmerksamkeit auf alles, was ihn umgab.
    Worüber grübelte er wohl? Über das traurige Selbstgespräch von vorhin? Oder dachte er vielleicht an das liebliche Bild, das er eben bewundert hatte? Bei einem Manne von achtundzwanzig Jahren hat ja die Traurigkeit flüchtige Füße.
    Zu klarerem Bewußtsein kam er indes erst, als er die Hand auf die Tür seiner Kabine legte; da bemerkte er, daß er nicht allein war.
    Gleichzeitig wurden nämlich zwei andre Türen geöffnet. In die der seinigen zunächstgelegne Kabine trat eine Dame ein, und in die nächstfolgende ein Herr. Die

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