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Das Reliquiar

Das Reliquiar

Titel: Das Reliquiar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Seymour
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und verdreckt stiegen sie ein. Bevor der Mann am Steuer den Motor startete, nahm er die Kapuze ab und strich sich übers Haar. Im schwachen Licht der Innenbeleuch tung zeigte der Rückspiegel das Gesicht von Stefano Monti.

Rom, 9.Oktober 1215
    Nikolaus von Verdun hatte es satt zu warten, wollte aber nicht gehen, bevor er das Ergebnis seiner Arbeit persönlich ausgehändigt und den Lohn dafür empfangen hatte. Während er wartete, öffnete er das Tuchbündel, entnahm ihm die beiden Kreuze und legte sie nebeneinander auf den Tisch. Selbst ihm fiel es schwer, sie zu unterscheiden, und er war auf Marozias Reaktion gespannt.
    Plötzlich öffnete sich die Tür, und die Frau kam mit
einem strahlenden Lächeln auf ihn zu. »Ihr seid fertig!«, sagte sie und sah die beiden Kreuze.
    »Wie Ihr seht, Signora, habe ich mich an Eure Anweisungen gehalten«, sagte der Goldschmied voller Stolz. »Die Kopie gleicht in allen Details dem Original.«
    »Und niemand hat erfahren, woran Ihr gearbeitet habt?«
    »Niemand.« Nikolaus hatte sich eine Lüge nach der anderen einfallen lassen müssen, um sein Werk geheim zu halten. Immer wieder waren seine Gedanken zu Marozias Drohung zurückgekehrt, die ihm keine Ruhe ließ. Er war Zeuge der Bestrafung eines Mannes geworden, der böse Worte über eine Konkubine von Ruggero Annobaldi verloren und dafür ein Brandzeichen auf der Stirn erhalten hatte. Für nichts auf der Welt hätte Nikolaus den Mund geöffnet und etwas verraten.
    »Es ist perfekt«, sagte Marozia zufrieden. Sie drehte beide Kreuze um und nahm, ohne zu zögern, die Kopie, um sie aus der Nähe zu betrachten.
    »Wie habt Ihr sie erkannt?«, fragte Nikolaus verblüfft.
    Marozia lächelte geheimnisvoll und ging nicht auf die Frage ein. »Habt Ihr die Zeichnungen mitgebracht?«
    Nikolaus entnahm seiner Tasche mehrere Papierrollen.
    »Werft sie ins Kaminfeuer.«
    Er starrte sie an. »Ich soll sie verbrennen?«
    »Ich verstehe Euer Missfallen, aber ich bitte Euch, erfüllt mir den Wunsch.«
    Der Goldschmied warf die Papierrollen in den Kamin und beobachtete voller Kummer, wie sie verbrannten. Marozia zog die Schublade eines Schranks auf und holte
einen Beutel mit Münzen hervor. »Hier ist der Lohn, den Ihr Euch verdient habt, Signor Nikolaus.«
    »Es war mir ein Vergnügen, Euch zu Diensten zu sein, Signora. Ich stehe immer zu Eurer Verfügung.«
    »Daran werde ich denken, das versichere ich Euch«, erwiderte Marozia mit einem Nicken.
    Kaum war sie allein, öffnete sie einen kleinen Schrank mit doppeltem Boden – dort hatte sie den Holzsplitter aus dem Kreuz versteckt.Vorsichtig legte sie ihn in das kleine Fach im Innern des Kreuzes zurück und fragte sich dabei einmal mehr, was es mit dem Holz und den dunklen Flecken daran auf sich hatte. Aber eigentlich spielte es gar keine Rolle.Vielleicht stammte das Stück vom Gehstock eines Heiligen. Wichtig war nur: Wenn Simone das Kreuz eines Tages zurückverlangte, würde sie ihm die Kopie geben und das weitaus wertvollere Original behalten.
    Schließlich wickelte sie beide Kreuze in ein Tuch und hielt sie fest an die Brust gedrückt, als sie durch eine kleine, hinter dem Wandteppich verborgene Tür schlüpfte. Im Licht einer Fackel, die in einer Wandhalterung brannte, ging sie die steile Treppe in den Keller hinab. Nur sie wusste von der Existenz des Schatzes aus Geld und wertvollen Gegenständen, der sich dort unten befand. Marozia wusste davon, weil sie selbst es gewesen war, die ihn angelegt hatte, Edelstein um Edelstein, Scudo um Scudo.Wenn sie alt und verblüht sein würde, sollte ihr dieser Schatz ein komfortables, ruhiges Leben ermöglichen. Und vor allem fern von so naiven Männern wie Simone und von so grausamen wie Ruggero.

Bei Sandriano, 9. November 2006
    Elena lenkte den Rover mit erstaunlichem Geschick durchs dunkle Gelände, das nur etwas vom Mond beleuchtet wurde, und sie schien sich auch ohne die Scheinwerfer orientieren zu können – die hatte sie nach demVerlassen des Schlosshofes ausgeschaltet. Ihr Ziel war offenbar eine zackige Silhouette, die sich in der Dunkelheit abzeichnete, vermutlich ein Wald.
    Nicholas drehte sich um und hielt nach Verfolgern Ausschau, von denen jedoch nichts zu sehen war.Als sein Blick nach vorn zurückkehrte, hielt er unwillkürlich den Atem an. Sie fuhren einen Hang entlang, der zum Glück nicht allzu steil war, doch der Geländewagen schien kurz davor zu sein, zur Seite zu kippen. Plötzlich verschwand der Mond hinter einer Wolke, und die

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