Das Rennen zum Mars
gemeinsam mit Harry, in Australien zu bleiben.
Die Weltraumbegeisterung hatte Julia schon früh von ihrer Mutter geerbt. Ein Video der MARTIAN CHRONICLES war ihr Lieblingsfilm. Wenn Erwachsene sie fragten, was sie später einmal machen wollte, sagte sie schnippisch: ›Ich werde in den Marskanälen schwimmen‹. Die Leute reagierten, indem sie belustigt etwas vor sich hinmurmelten und ihr übers Haar strichen. Zu der Zeit, als sie erfuhr, daß es gar keine Kanäle gab, war es schon ihr Mantra geworden.
Als sie vierzehn war, wurden Harry und Robbie von alten NASA-Bekannten zu den Feierlichkeiten eingeladen, die sich um die Sonde ›Pathfinder‹ rankten, welche im Juli 1997 auf dem Mars gelandet war: Zurück zum Roten Planeten!
Videoaufnahmen vom Mars wurden in ein improvisiertes Auditorium übertragen. Sie wirkten verblüffend real auf der großen Leinwand. Sie hatte den Druck erregter Körper um sich herum verspürt.
Kollektive Begeisterung erfüllte den Raum, bei dem es sich eigentlich um einen von der riesigen Ausstellungshalle abgeteilten Bereich handelte. In der statisch aufgeladenen Dunkelheit war sie wie hypnotisiert. Später gingen sie nach oben in einen kleinen Raum, wo sie zwanzig Minuten damit zubrachte, einen funkferngesteuerten Spielzeug-Rover über ein aus Sand und Steinen bestehendes Diorama zu manövrieren. Es war nur ein einfaches Plastikmodell. Aber es genügte. Sie verschlang alle Berichte über die Mission und hängte Poster mit Sojourner an die Wand.
Und ihre Eltern hatten die Einladung nicht nur wegen ihr angenommen, sondern weil sie selbst Spaß daran hatten.
Julia zog schon in Erwägung, aus dem Team auszuscheiden und sich um ihren Vater zu kümmern. Sie zermarterte sich die ganze Nacht das Gehirn. Es war nicht möglich gewesen, ihn sofort zu besuchen, weil für den folgenden Tag Luftbrems-Übungen auf dem Programm standen, an denen sie teilnehmen mußte. Und sie war sich auch bewußt, daß ihr Verhalten die Pläne des Konsortiums stark beeinträchtigen würde. Keine dieser Überlegungen war dem Schlaf förderlich.
Doch als sie am Visifon mit ihnen sprach, wollte Harry nichts davon hören. »Der Mars ist dein Traum, Kleines!«, hatte er sich empört und in alttestamentarischem Zorn die Stirn gerunzelt. »Und meiner auch.«
»Und meiner«, sagte ihre Mutter sehnsüchtig.
Also gelangten sie während eines langen, streckenweise unerfreulichen Gesprächs zu einem Waffenstillstand. Harry würde sich der experimentellen Medikamentenbehandlung unterziehen. Sie würden während des zweieinhalbjährigen Flugs engen Kontakt halten.
Und Harry fügte hinzu: »Ich werde dir zuerst einen Kuß geben, wenn du die Laufplanke heruntertänzelst. Ich werde diese Katherine wegschubsen, ich schwör’s.« Harry vertrat nämlich eine dezidierte Meinung zur ganzen Raoul-Baby-Katherine-Angelegenheit. »Das ist ein Versprechen.«
* * *
Februar 2016
Die Uhr lief.
Die Startbereitschaft wurde überprüft. Niemand wollte hier etwas anderes hören als die ›Das-schaffen-wir-schon‹-Sprüche im NASA-Stil. Doch dies war die Privatwirtschaft, die kein Geld in aussichtslose Projekte investierte, und nach Ansicht aller Beteiligten, vor allem der altgedienten Veteranen wie Brad Fowler, gab es noch zu viele offene Fragen und technische Unwägbarkeiten.
Die NASA-Flüge glichen Opern, deren Musik und Besetzung lang im voraus ausgewählt wurde und deren Ausgang bereits feststand.
Das hier hatte jedoch mehr Ähnlichkeit mit einem Tanztheater, dessen Mimen noch probten, während die Musiker sich schon einstimmten.
Bei den Festbrennstoff-Raketentriebwerken handelte es sich um bewährte Technik, die dennoch ihre Tücken hatte. Und das war noch wohlwollend ausgedrückt. Die Montage der gesamten Einheit, des Boosters und der Zusatztriebwerke, glich in beängstigender Weise dem Bau eines Kartenhauses. Axelrod hatte fast eine Million für die Nutzungsrechte an sämtlichen Einrichtungen von Cape Canaveral hingeblättert, einschließlich des VAB, der Raumschiffs-Montagehalle.
Die Besatzung flog auf Landebahn 33 ein, in deren unmittelbarer Nähe das rechteckige Profil des größten Gebäudes der Welt in den Himmel ragte. Dann verließen sie in den Konsortiums-Uniformen – Axelrod hatte auf rotblauen Spandex-Anzügen bestanden – das Flugzeug und schauten zum VAB empor. Sie liefen wie Insekten vor dem Gebäude herum, bis das Pressekorps aufmarschierte und in der von Axelrod gebotenen Distanz verharrte.
In der flirrenden
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