Das Rennen zum Mars
Problem. Im Jahr 2008 wurde die Methode erstmals im Orbit erprobt: in einem Sicherheitsabstand von ein paar Kilometern zur ISS(ISS = International Space Station: Internationale Raumstation. – Anm. d. Übers. ) lebten Astronauten – NASAnauten – für ein Jahr in einem Bruchteil der irdischen Schwerkraft.
Sie waren so erfolgreich, daß die Vertreter der Null-Ge-Fraktion im Biowissenschaftlichen Direktorat des JSC weitere Arbeiten zu hintertreiben suchten, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Die einzige Erkenntnis, die das vier Jahrzehnte währende Studium der Schwerelosigkeit erbracht hatte, bestand in einer negativen Beurteilung dieser Option. Doch nach den Niedergravitations-Versuchen war die Katze aus dem Sack der Schwerelosigkeit. Die paar 0,38-Ge-Studien, die inzwischen vorlagen, untermauerten Axelrods Sprung zur einfachen Konfiguration, mit der sie zum Mars und zurück fliegen würden.
Und dabei handelte es sich nicht einmal um das, was die Medien als ›Raketen-Wissenschaft‹ bezeichneten – ein ebenso interessantes wie falsches Klischee, denn Raketen sind Wunder der Technik und nicht der Wissenschaft. Die Arbeiten waren wohl kompliziert, gingen aber nicht bis an die Grenzen des Wissens. Es handelte sich lediglich um Newton’sche Mechanik, und nachdem die obere Stufe und das Habitat durch das Kabel verbunden worden waren, mußten nur noch die Hydrazin-Schubdüsen beider Module feuern, wodurch das Habitat gegen das Leergewicht der oberen Stufe in Rotation versetzt wurde und sich mit ein paar Umdrehungen pro Minute um die Hochachse drehte.
* * *
Der vielleicht erfreulichste Aspekt der innovativen Arbeitsweise des Konsortiums war die Abschaffung des Papierkrams. Julia hatte nämlich die Erfahrung gemacht, daß allein die Masse des Papiers, das bei jedem Flug zur Raumstation anfiel, die Nutzlast überstieg.
Axelrod räumte damit auf.
»Es hätte keinen Sinn, uns hinter Bergen von Papier zu verschanzen, falls wir scheitern«, sagte er launig. »Es geht nicht ums Papier, das wir produzieren, sondern darum, was wir im schlimmsten Fall verlieren – Banknoten im Wert von dreißig Milliarden Dollar.«
Plötzlich wurden, was Julia betraf, geopolitische und persönliche Angelegenheiten nichtig und klein. Harry, ihr Vater, brach auf dem Golfplatz zusammen.
Man diagnostizierte eine der neuen Krankheiten, die durch Killer-Viren der Zoonose(Zoonose: Krankheitsübertragung vom Tier auf den Menschen. – Anm. d. Übers )-Klasse verursacht wurden; sie stammten aus dem Regenwald Zentralafrikas und wurden vom Tier auf den Menschen übertragen. Das Virus wurde bis zum Wilderer-Lager in Westafrika zurückverfolgt, das er und die Wildhüter aufgestöbert hatten – die Reise, die Harry unternommen hatte, um sich vor Julias Hochzeit zu drücken. Die von den Wilderern abgeschlachteten Tiere waren von Viren befallen, die auf Menschen übersprangen. Langfristig wurden Harry nur geringe Überlebenschancen eingeräumt – bestenfalls fünf Jahre. Und kurzfristig? Das wußte niemand. Vielleicht war er schon in einem Monat tot, falls die komplexe Blutchemie plötzlich aus dem Lot geriet. Auf jeden Fall unterzog er sich einer massiven Medikamententherapie.
Sie erhielt die Nachricht von ihrer Mutter Robbie. Zum Glück hatte Julia eine Mutter, die immer vom Weltraum geträumt und einen Biologen geheiratet hatte. Nicht nur einen liebevollen, treusorgenden Ehemann, sondern einen, der im Geist zu fernen Welten reiste.
In den alten Tagen, den Siebzigern, bestand das bemannte Raumfahrtprogramm ausschließlich aus kurzen Shuttle-Flügen. Harry hatte Robbies Astronauten-Training begeistert unterstützt und sogar seine akademische Karriere zurückgestellt und für die Exobiologie-Abteilung der NASA gearbeitet, damit sie in der Nähe des JSC zusammenleben konnten.
Ihr Zugeständnis an die Familie bestand darin, für Bills und dann für Julias Geburt nach Australien zurückzukehren. Als der Mutterschaftsurlaub sich dem Ende zuneigte und sie in Gedanken bei der Fortsetzung ihrer Karriere war, stieß sie als Geisterfahrerin mit einem Lkw zusammen. Beim Unfall durchstieß der Oberschenkelknochen das zertrümmerte Hüftgelenk. Fünf Monate im Krankenhaus und anschließend eine langwierige Rehabilitation.
Danach hinkte sie. Die NASA zeigte Mitgefühl und bot ihr eine sitzende Tätigkeit an, doch die Astronauten-Karriere war auf jeden Fall beendet. Die Vorstellung, ein Bürokrat zu werden, erschreckte sie, und sie beschloß
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