Das Rennen zum Mars
öden Tagen, die nun folgten, entspannten sie sich im winzigen Gemeinschaftsraum des Habitats und ließen der Phantasie freien Lauf. Sie schrieben ihre Memoiren. Am Ende würde jeder von ihnen einen Bestseller verfaßt haben; sie hatten schon Verträge mit Verlagen abgeschlossen und dicke Vorschüsse kassiert.
Amateur-Schriftsteller allesamt, und sie dachten sich Titel aus, die sie dann mit den anderen diskutierten.
»Ich glaube, ich werde mein Buch Mars oder Tod nennen«, sagte Marc.
Raoul quittierte das mit einem Lachen. »Müßte eher Mars und Tod heißen, meinst du nicht auch?«
»Ich weiß – Mars oder(durchgestrichen) und Tod .« Sie stießen ein brüllendes Gelächter aus, in dem sich gleichzeitig die Anspannung des schrecklichen Erlebnisses entlud.
»Die Vier vom Mars« , schlug Viktor vor und grinste Julia an.
Axelrod hatte ein besseres Gespür für dramatische Inszenierungen. Viel eher als die Besatzung hatte er erkannt, daß dieses Abenteuer von der Öffentlichkeit nur dann akzeptiert wurde, wenn es sein Geld war, das auf dem Spiel stand. Sollte aber der Steuerzahler dafür aufkommen, erwartete sie Gewißheit und Sicherheit – und langweilte sich dann, wenn es öde hoch drei war. Apollo 11 war ein technisches Meisterstück gewesen. Und der Film Apollo 13 hatte mehrere hundert Millionen eingespielt.
Manche hielten das alles für würdelos. Die NASA hatte die Öffentlichkeit dahingehend konditioniert, daß viele glaubten, nur unter emotionalem Druck stehende Piloten, die mit Akronymen um sich warfen, seien echte Astronauten. Die Mars-Besatzung hingegen war sozusagen aus dem Stand zu Medien-Ikonen geworden, wobei jedes Besatzungsmitglied für einen Teil der Meta-Population stand. Raoul vertrat die Minderheiten , Marc war der gute Junge von nebenan , Viktor der liebenswerte Fremde .
Julia mußte natürlich die Eiserne Jungfrau spielen, die feministische Pionierin; natürlich hatte sie ihren Text vergessen.
Schon lang vor der berühmten Wasser-Krise hatten sie sich mit dem Prominenten-Status arrangiert: Lichtgestalten sozusagen. Vor dem Start wurden, wie schon beim letzten Mal, im Internet Wetten auf die Explosion des Boosters abgeschlossen. (Allerdings stand es recht gut für sie, berichtete Viktor: nur dreiundzwanzig Prozent für die Explosion.) Die alles überwölbende Analogie indes schien Antarktika zu sein: Scott und Shackleton waren zu einem historischen Wettlauf durch eine gefrorene Landschaft angetreten und hatten an einem abgeschiedenen und lebensfeindlichen Ort ein Drama aufgeführt. Der Mars war die entsprechende Kulisse für das 21. Jahrhundert. Shackleton hatte gewonnen und sich als Meister der Selbstdarstellung profiliert. Sämtliche Kosten hatte er auf die eine oder andere Art durch Medienbeteiligung gedeckt: er hatte vor dem Aufbruch Rechte an Nachrichten- und Bildmaterial verkauft und Sonderbriefmarken mitgenommen, die am Südpol abgestempelt werden sollten.
Nachdem er zurückgekehrt war, wurden seine Aufzeichnungen zu einem Bestseller und gleich in neun Sprachen übersetzt. Er vermachte sein Expeditionsschiff einem Museum und kassierte Eintrittsgeld dafür. Mit einer Vortragsreise, einer Phonographen-Aufnahme, dem ersten Film über die Antarktis und unzähligen Zeitungsinterviews beschritt er den Weg in die Geschichte – und zu Wohlstand. Die Ironie dabei war, daß er es nicht einmal bis zum Südpol geschafft hatte.
Doch selbst dieses Scheitern verschleierte er mit einer martialischen Botschaft: Den Tod vor Augen und den Proviant im Rücken – so blieb mir nichts als die Umkehr.
Zu dem Zeitpunkt, da sie den Mars erreichten, hatte die Welt sich schon an die moderne Version dieses ›zeitlosen‹ Phänomens gewöhnt.
Gib dem Berg einen Namen! Wieder war Shackleton der Erste gewesen und hatte die Namen seiner Sponsoren in der Antarktis verewigt. Den Namen Beardmore-Gletscher hatte der Inhaber sich 34000 Dollar kosten lassen – ein kleines Vermögen für die damalige Zeit. Da lag es auf der Hand, auch die Namensrechte an Valles Marineris zu verkaufen, einem Graben mit einer Länge von 4 500 Kilometern. Axelrod gab ein entsprechendes Angebot ab und stieß auch gleich auf starke Resonanz. Es lag im Ermessen des glücklichen
›Spenders‹, welchen Namen er dem Graben gab. Doch war es höchst unwahrscheinlich, daß der Mensch, der einen Medien-Zaren oder Besitzer einer Warenhauskette darstellte, etwas anderes als seinen eigenen Namen auf der Landkarte des Mars sehen wollte –
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