Das Rennen zum Mars
zugeben, daß das ein gutes Argument ist«, sagte Marc.
»Aber es unterstellte, daß Leben die Atmosphäre als chemisches Puffer-Medium nutzen würde. Was ich allerdings für unwahrscheinlich halte, weil sie so dünn ist … was nun, wenn das Leben sich schon vor langer Zeit aus der Atmosphäre zurückgezogen hat?«
»Wie hätte es das anstellen sollen?«, fragte Marc mit verwirrtem Gesichtsausdruck.
»Leben hält sich vielleicht im tiefen Untergrund und nutzt Emissionen von, sagen wir, Schwefelwasserstoff als Energiequelle. Das ist natürlich nur eine Vermutung, aber wir werden es nie erfahren, wenn wir nicht nachsehen. Und das geht nur, indem wir in eine Fumarole absteigen.«
»Die Theorie ist plausibel, aber solange wir das ERV nicht repariert haben, ist es müßig, Alternativen zu diskutieren.« Raoul hatte wieder diesen Gesichtsausdruck – das Kinn vorgeschoben und die Augen zu Schlitzen verengt, womit er seine Position unmißverständlich klarmachte.
Das alles war natürlich nichts Neues. Im Zeitraum von zwei Jahren entwickelt man gewisse Fertigkeiten in der Deutung von Mimik.
* * *
Das Leben auf der Zubrin-Basis – der inoffizielle Name zu Ehren des engagierten Gründers der Mars Society – geriet zu einer öden Routine aus ERV-Reparatur, Maschinenwartung und normaler Instandhaltung. Während der langen Stunden träumte Julia von der Fumarole, hörte die Uhr im Kopf ticken und kochte vor Wut.
Nach einem frustrierenden Morgen, an dem sie als Werkzeug-Träger zu den Reparaturarbeiten beigetragen hatte, ging sie zum Gewächshaus. Ihr oblag die Aufgabe, Nahrungsmittel auf dem Mars anzubauen. Eine Kolonie würde einen Großteil der Nahrungsmittel selbst erzeugen müssen, um nicht mit logistischen Problemen konfrontiert zu werden wie damals Napoleons Armee in Rußland.
Eins der bestgehüteten Geheimnisse des Raumstation-Zeitalters war, daß die Astronauten ganz und gar nicht in einem geschlossenen System lebten. Mir, Skylab und die Internationale Raumstation waren mitnichten autark, sondern nur Endpunkte der irdischen Verteilungssysteme gewesen. Sauerstoff, Lebensmittel und Wasser wurden mit Shuttles nach oben gebracht, leere Tanks wurden zurück zur Erde transportiert, und Abfälle wurden einfach ins All gekippt, wo sie beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verbrannten.
Es waren private Investoren, die sich mit erdgestützten Experimenten des Problems der Wiederaufbereitung in geschlossenen Systemen annahmen. Das Projekt Biosphäre II in der Wüste von Arizona war schon zu einem Menetekel geraten, als Julia ins Astronauten-Korps eintrat. Das zweijährige Experiment in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts war kein Erfolg gewesen – alle Beteiligten magerten ab, zwei Leute mußten wegen schwerer Erkrankungen evakuiert werden, und aus unerklärlichen Gründen hatte das System Sauerstoff verloren.
Schließlich mußte Frischluft zugeführt werden, um Leben zu retten. Als Übeltäter entpuppten sich schließlich die Tonnen aushärtenden Betons, aus dem die Gebäude bestanden: Sauerstoff wurde in den Wänden gebunden. Das war eine böse Überraschung für die Missions-Planer gewesen.
Für geschlossene Lebenserhaltungs-Systeme fehlten die technischen Voraussetzungen. Selbst auf dem Mars nutzte die Besatzung die lokale Atmosphäre, um auf chemischem Weg Sauerstoff und Wasser zu gewinnen. Das war es auch, was die chemische Anlage des ERV während der ganzen Zeit getan hatte: sie hatte den von der Erde importierten Wasserstoff in Methan und Sauerstoff umgewandelt. Bei der Verbrennung als Rover-Kraftstoff fielen als Nebenprodukte Kohlendioxid und Wasser an. Das knappste Gut war Wasserstoff gewesen. Nachdem Marc jedoch die gefrorenen Pingos entdeckt hatte, wären zukünftige Missionen in der Lage, Wasserstoff aus original Mars-Wasser zu gewinnen.
Das Problem der Nahrungsmittelversorgung war noch immer nicht gelöst. Julia führte eine Versuchsreihe durch, die von der NASA vorgeschlagen und von Axelrod unter Vertrag genommen worden war. Sie stützte sich dabei auf Ergebnisse, die Ernährungswissenschaftler in langjährigen Untersuchungen gewonnen hatten.
Man war sich einig, daß die Ernährung der Kolonisten langfristig auf pflanzlicher Basis beruhen würde. Es war auch sinnvoller, das pflanzliche Protein sofort zu essen, anstatt es zuerst durch einen Tiermagen zu schicken und dadurch neunzig Prozent des Energiegehalts zu verlieren. Deshalb hatte die Konsortiums-Besatzung gleich nach der Landung ein
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