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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auseinander. Die entgeisterten Gesichter mit den aufgerissenen Mündern huschten an Gilbert Descartes vorbei. Er hielt Zeige- und Mittelfinger leicht gegen die schweißige Haut von Hendrik Merz' Hals gedrückt. Manchmal glaubte er ein fernes, undeutliches Pochen zu spüren, doch wie konnte er bei dieser Wahnsinnsschüttelei sichergehen?
    Lanson brachte den Jeep mit blockierenden Reifen vor der Aufnahme des Hospitals zum Stehen. Steine und Sand flogen auf, und am Fenster erschien das runde, dunkle Gesicht einer Schwester, die Descartes noch nie gesehen hatte. Sie schien an solche Szenen gewöhnt. Sie winkte, ja, sie lächelte sogar, dann kam sie schon herausgeschossen, ein weißgekleideter, dickbusiger und jeder Situation gewachsener Spital-Engel.
    »Toni!« brüllte sie. »Anofu! – Na, wird's bald!« Zwei Eingeborene erschienen mit einer Tragbahre. Sie legten den Bewußtlosen vorsichtig darauf und rannten mit ihm ins Gebäude.
    Descartes war beeindruckt.
    Die Schwester hieß Ulla. So nannten sie sie wenigstens. Descartes hatte sich unter ›Ulla‹ stets ein langbeiniges, blauäugiges Wesen vorgestellt, aber sie war nichts als eine dicke, kompetente, gutausgebildete, umsichtige Insulanerin. Sie hatte bereits den Karren mit dem Sauerstoffgerät herangerollt und hielt die Maske bereit.
    »Hendrik, Hendrik«, sagte sie dabei und lächelte nicht länger. »Hendrik … was machst du bloß? Sieh mal, Hendrik, wird schon was nützen. Muß einfach …«
    Und dann bedeckte die schwarzlappige Gummimaske die Mitte seines Gesichtes, und Ulla beugte sich mit den mächtigen braunen Keulenarmen über ihn, in die die kurzen Ärmel des Schwesternkleides einschnitten, und begann sein Herz zu massieren.
    »Herrgott noch mal«, keuchte sie, »wo steckt denn der Nielsen nur? Wann kommt denn dieser Knallkopf? Warum ist er nicht schon längst da?«
    Gilbert Descartes mochte diese Frau, ja, er mochte sie sehr …
    Nielsen kam, setzte seinem roten, fettgepolsterten Gesicht mit der Goldbrille sofort den Feldherrn-Ausdruck auf, gab leise Befehle, nahm die Spritzen, die man ihm reichte und stach ein. Es waren kreislaufstützende Spritzen und andere, die beruhigen und die Wahnvorstellungen bekämpfen sollten, von denen man ihm berichtet hatte.
    Dann wurde Descartes hinausgeschickt. Sie fingen damit an, Hendrik Merz den Magen auszupumpen. »Kommt er durch?« Descartes fragte es von der Tür her.
    Nielsen sah kurz auf. »Klar kommt der durch. Warum nicht?«
    Descartes zog leise die Tür hinter sich zu, ging in den Warteraum der Aufnahme und versuchte sich erneut vorzustellen, was alles zusammenkommen mußte, um einen Jungen wie Hendrik Merz in eine solche Situation zu treiben.
    Ein Mädchen namens Mary …? Le pige de l'amour, die ›Falle der Liebe‹? Aber es war ja nicht die Liebe allein, die Falle hatte ein anderer gestellt … Himmelherrgott, ob Hendrik nun an ihrem Tod schuld war oder nicht, in einer solchen Situation gibt man sich immer selbst die Schuld, vor allem dann, wenn man so empfindsam ist wie er. Es hielt ihn nicht länger in dem Raum mit den kahlen Holzbänken. Das Ambulatorium erinnerte ihn an das Vorzimmer einer Leichenhalle. Er stand auf und ging hinaus.
    Lansons roter Jeep stand noch immer vor dem Eingang.
    Gilbert Descartes sah sich um und sah die verlorene Gestalt des Missionars drüben im Krankenhausgarten. Er saß unter einem Pfefferbaum auf einem großen Kalksteinbrocken, die Schultern nach vorn gebeugt, den Kopf gesenkt, und von der Ferne sah es aus, als lese er in seinem Brevier.
    Gilbert Descartes beschloß, ihn zu stören. Als er näher kam, erkannte er, daß Pater Lanson nicht las, sondern seine Hände betrachtete.
    »Warum setzen wir uns nicht auf eine Bank? Wäre doch bequemer. Vor allem für mein Knie.«
    Der Pater blickte auf, fuhr sich durch die grauen Haare, nickte und stand auf.
    Eine Zeitlang saßen sie schweigend nebeneinander und blickten hinüber zu dem milchweißen Brandungsstreifen am Strand.
    »Hendrik kommt durch. Nielsen behauptet es wenigstens. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, sagt er.«
    »Mach' ich mir aber …«, gestand Patrick Lanson. Descartes nickte.
    »Es ist schon sonderbar«, fuhr der Pater fort, »ich habe mir das gerade überlegt: Im Leben laufen die Dinge immer in Phasen ab. Selbst hier, auf einem so abgeschiedenen, friedlichen Platz wie dieser Insel. Monatelang langweilt man sich zu Tode, nichts geschieht, und dann, an einem einzigen Tag, erwischt es gleich zwei Freunde. Es

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