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Das Riff der roten Haie

Das Riff der roten Haie

Titel: Das Riff der roten Haie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Notizpapier aus seiner Manteltasche. »Wissen Sie, hier in der Klinik bin ich der einzige, der über eine einigermaßen solide Ausbildung in Orthopädie verfügt. Natürlich können wir Sie, wenn wir noch etwas warten, auch nach Nukualofa fliegen, wenn Ihnen das lieber ist. Dort, in der Klinik von Tongatapu, operiert Dr. Bronstein. Auch ein Chirurg mit großer orthopädischer Erfahrung. Doch, das müßten sie schon selbst entscheiden. Und ich will Ihnen auch nicht verheimlichen, daß Dr. Bronstein vielleicht die bessere Wahl wäre. Umgekehrt glaube ich schon, daß Sie Vertrauen in mich haben können. Außerdem besteht die Gefahr, daß Sie durch die Anstrengung des Transports wieder einen Rückfall erleiden …«
    Er sprach langsam, setzte die Worte vorsichtig und behielt die ganze Zeit diesen aufmerksamen, freundlichen Blick in den dunklen Augen.
    Ein Deutscher …
    »Sind Sie schon lange hier auf Tonga, Doktor?« fragte Ron.
    »Fünf Jahre.«
    »Und wie ist das? Kennen Sie so was wie Heimweh?«
    »Nach was?« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht, Mister Edwards.«
    »Mister Edwards? Lassen wir das doch! Warum sagen Sie nicht Ron zu mir?«
    »Gut.« Der Arzt legte flüchtig die Hand auf Rons Stirn. »Nein, ich habe kein Heimweh. Oder anders ausgedrückt – man kann nur nach der Heimat Heimweh haben. Und mein Heimatgefühl hat sich – wie soll ich es nennen – nun, es hat sich hier verankert. Das klingt vielleicht ein wenig pathetisch, aber ich finde kein anderes Wort.«
    »Ich verstehe das. O ja, ich verstehe Sie sehr gut. Mir geht es genauso.«
    Hendrik Merz blickte auf den Block in seiner Hand. »Ich wollte Ihnen hier die Operation erklären. Aber wenn Sie sich im Augenblick nicht so wohl fühlen … Sie sollten vielleicht doch noch eine Tablette nehmen. Ich kann auch später wiederkommen.«
    »Will ich aber nicht. Und was wollen Sie mir schon erklären?« Ron versuchte gegen seine Schmerzen anzugrinsen. »Sie können die Splitter rauspulen und mir eine Art Nagel reindonnern und dann gemeinsam mit mir beten, daß der Knochen wieder zusammenwächst. Ist es das?«
    »So in etwa …«
    »Na also«, sagte Ron. »Lassen wir's doch dabei, Hendrik. Sie bringen das prima hin. Ich weiß es.«
    Wieder legte sich die Hand des Arztes auf seine Stirn, und das schüchterne Lächeln wurde breit und strahlend: »Verlassen Sie sich drauf, Ron.«
    ***
    »Ich hab' mit ihm gesprochen. Und er wollte, daß ich ihn operiere, Gilbert. Das ist ein feiner Kerl. Er gefällt mir.«
    »Weil er Vertrauen hat …«
    »Nein, nein. Einfach so …«
    Sie gingen den Strand entlang. Beide waren barfuß. Der Wind erzeugte ein feines, metallisches Sirren, wenn er die Palmwedel über ihren Köpfen peitschte. Hendrik Merz blieb stehen und bückte sich nach einem Stück Strandholz. Das Meer hatte es rund und bleich geformt wie einen Knochen. Er betrachtete es nachdenklich, drehte es zweimal hin und her, befühlte mit den Fingerspitzen die Oberfläche, dann holte er aus und warf das Holz in weitem, hohem Bogen hinüber zur Brandung.
    »Nicht schlecht.« Descartes nickte anerkennend. »Ich staune nur so, wie du dich in den fünf Tagen hochgerappelt hast, Hendrik. Mein Gott, wenn ich daran denke, wie du mir da aus deiner Hütte entgegen gekrochen bist … Hab' ich mich vielleicht erschreckt!«
    Hendrik Merz verzog den Mund zu einem dünnen Grinsen. »Vielleicht hast du so eine Art Stehauf-Männchen vor dir. Was glaubst du, wie froh ich bin, daß du mich da rausgeholt hast! Werd's dir nie vergessen.«
    »Schenk's dir. Schau lieber wieder mal nach meinem Knie.«
    »Das bring' ich hin. Wir machen eine Nachoperation.«
    »Auch noch? Ich geb' dir einen guten Rat: Bring lieber erst mal die Sache mit Ron hinter dich.«
    »Das sowieso. Wieso auch nicht? Sieh mal …« Er hielt die langen, feingliedrigen Chirurgen-Hände unter Gilbert Descartes' Nase. »Und guck genau hin. Siehst du irgendwas, das da zittert?«
    Gilbert Descartes schüttelte den Kopf. »Deine Finger nicht. – Aber ich.«
    Hendrik Merz lachte, und es war das erste Mal, daß ihn Descartes so lachen hörte: dasselbe Lachen wie früher, jungenhaft-fröhlich und zugleich Zutrauen erweckend. Ja, er schien sich wieder im Griff zu haben.
    Das Lachen brach ab.
    Hendrik Merz sah über die dunkel strahlende See, dann wandte er sich ihm wieder zu, und sein Blick schien aus einer unendlichen Weite zurückzukehren: »Weißt du, warum ich an diesem Morgen, an dem du mich aus meinem Loch

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