Das Riff der roten Haie
ist so, als habe jemand die Karten ganz mies gemischt. Können Sie das verstehen?«
»Fragen Sie doch Ihren lieben Gott. Der besorgt das Mischen.«
»Der ist auch Ihrer.« Patrick Lanson drehte den Kopf.
Zum ersten Mal fiel Descartes auf, wie grün seine Augen waren. Atoll-grün, Lagunen-grün, hell und durchdringend. »Ja, er ist auch Ihr Gott, ob Sie den Gedanken nun mögen oder nicht.«
»Nun ja …«
»Aber vielleicht haben Sie recht«, fuhr Lanson unberührt von dem Einwurf fort, »vielleicht hatte Gott einen schlechten Tag. Wissen Sie …«
Er zögerte. »Gilbert. Gilbert Descartes.«
»Ja, natürlich. Entschuldigen Sie, wenn ich den Namen vergessen habe. – Wie ist es überhaupt, Sie waren doch lange hier, so lange, bis Ihr Knie wieder ausheilte … Warum haben wir uns eigentlich nie gesehen?«
»Weil Sie damals noch in Telekitonga waren und ich äußerst ungern in die Messe gehe – und Sie vermutlich genauso ungern in die Kneipen. Obwohl es hier ja nichts gibt, das diesen Namen verdient. Aber im Ernst: Ich hab' fast die ganze Zeit im Krankenhaus verbracht. – Doch Sie wollten noch etwas anderes sagen.«
»Ah ja, richtig. Ich habe darüber nachgedacht, auf welche merkwürdige, ja, sogar erschreckende Weise das Leben dieser beiden, das Schicksal Hendriks und Rons, plötzlich miteinander verknüpft wurde. Es ist doch wohl so: Falls Hendrik nicht auf die Beine kommt, besteht die Gefahr, daß Ron seinen Arm verliert. Wenn nicht noch was Schlimmeres passiert.« Ein Toko flog vor ihre Schuhspitzen auf den Weg, pickte irgendwas auf und flog wieder weg. Descartes sah ihm nach.
»Ich hoffe, daß Sie das zu dramatisch sehen, Pater. Ron wird sich erholen. – Und schließlich gibt es noch immer den Flieger nach Tongatapu.«
»Möge Gott es so fügen. Ich bete schon die ganze Zeit darum.« Wieder das schwache Lächeln: »Das wird Sie ja wohl nicht stören?«
Descartes schüttelte den Kopf.
Der Pater streichelte seine Hand. »Gilbert, ich hab' Sie bisher nicht gefragt, aber jetzt will ich es doch tun: Was ist in Wirklichkeit mit Ron passiert? Woher kommen diese Schußverletzungen?«
»Ich hab's Ihnen doch schon erklärt.«
»Erklärt? Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahres! Sie haben mir in vier oder fünf Sätzen eine Geschichte aufgetischt, an der ich schon die ganze Zeit herumkaue, ohne sie zu kapieren. Und die Polizei wird sie Ihnen auch nicht ohne weiteres abnehmen, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Na, hören Sie, es ist aber auch zu ungewöhnlich: Piraten, die Ihr Boot überfielen, als Sie mit Ron auf hoher See herumkreuzten, Piraten, die …«
»Die es gar nicht gibt in der Südsee, gar nicht geben darf – oder?«
»Nein, es gibt oder gab eine Bande unter der Anführung eines Malaien. Das stimmt schon. Ich hab's sogar in der Zeitung gelesen. Und im Radio haben sie auch darüber berichtet. Aber diese Typen haben die Fidschis und Samoa unsicher gemacht.«
»Und das ist ja so schrecklich weit weg von hier«, spottete Gilbert.
»Ich sagte doch, daß ich es nicht für so unwahrscheinlich halte, daß es hier eine einzelne Bande geben mag. Man wird sie erwischen. Und dann ist wieder Ruhe. – Das ist es nicht.«
»Was dann?«
Wieder der grüne, eindringliche Blick: »Hören Sie, ich kenne Ron. Wir haben uns lange unterhalten. Zunächst wollte ich gar nicht glauben, was er mir damals erzählte – daß er auf einer Insel wohnt, die noch immer ohne jeden Kontakt zu den anderen Inseln oder zur Außenwelt ist. Eine Insel, die niemand kennt, die noch nicht mal auf den Karten auftaucht.«
»Und das hat er Ihnen gesagt?«
»Meinen Sie, ich lüge Sie an? Er hat es mir gesagt. Er wollte sein Mädchen hierherbringen … So konventionell oder vielleicht auch so gläubig ist er noch immer, daß er Wert darauf legt, daß ich sie traue. Nun, vielleicht war das nur ein Einfall oder ein Scherz. Nun, ich habe dieses Mädchen kurz kennengelernt, als er einmal mit seinem Boot auf der Fahrt nach Papeete hier bei uns vorbeikam … Gut, die Frage, die sich für mich ergibt, ist ganz einfach: Kennen Sie die Insel?«
Descartes schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Nein? – Wie kam er dann auf Ihr Schiff?«
Descartes blickte einem zweiten Toko nach. »Kann ich Ihnen erklären, Pater: Wir haben uns getroffen – auf hoher See … Er kam da mit seinem prächtigen Dampfer angelaufen, Tama, sein Mädchen, war dabei, und ich habe die beiden zu mir auf mein Boot, so einen alten Koprasegler eingeladen. Ron war
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