Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
Schultern. Lea sah ihr an, dass sie am liebsten bejaht hätte. „Wenigstens mal eine Plakataktion in der Innenstadt“, murrte sie.
„Innenstadt? Wir sind hier nicht bei deinen Frankfurter Freunden. Das hier ist Eschersbach.“
„Stimmt. Hier ist nie was Interessantes los. Na ja, eins vielleicht doch.“
„Und das wäre?“
Lucy beugte sich verschwörerisch zu Lea hinüber. „Jörg Uglik hat gesagt, dass er mir ein Piece verkaufen kann. Weißt du, was das ist?“
Lea wusste es. Und es erklärte zumindest, wie der Sohn eines Sozialarbeiters an ausreichend Geld kam, um es an arme Schlucker wie sie verleihen zu können. „Du willst das aber nicht wirklich machen, oder?“, fragte sie.
„Warum nicht? Wär doch cool. Einfach mal ausprobieren. He, es ist nur Haschisch, kein Heroin oder so. Andere in unserem Alter sind schon voll auf Ecstasy, wenn sie durch die Clubs ziehen.“
„Hältst du das für erstrebenswert?“
„Okay, für dich wäre es schon ein Fortschritt, wenn du überhaupt mal durch die Clubs ziehen würdest. Hast du mit Timm gesprochen?“
„Jetzt hör aber auf, mich immer verkuppeln zu wollen. Ich fühl mich ganz wohl, so wie's ist.“
„Du weißt nicht, was du verpasst.“
„Weißt du was? Das ist kindisch und dumm, dass du andere immer nur danach beurteilst, wie oft sie abends weggehen und wie viele Jungs sie kennen.“
„Es kann nicht jeder so erwachsen und superschlau sein, Frau Professor.“
„Nur weil ich nicht komplett bescheuert bin---“
Im selben Moment läutete der gnadenlos verstimmte elektrische Schulgong, und beide rauschten auf getrennten Wegen wütend in ihre Gruppen zurück.
Schon wieder, dachte Lea. In letzter Zeit stritt sie sich immer häufiger mit Lucy. Was war bloß passiert? Irgendwie schienen sich alle von ihr zu entfernen, ihr Vater, ihre Mutter, ihre beste Freundin. Hieß das womöglich, dass es doch an ihr selbst lag? War sie es in Wirklichkeit, die komisch war?
Aber Lucy war einfach unfair gewesen, oder? Dass Lea es spannender fand, unter dem Sternenhimmel zu liegen und die gewaltige Milchstraße auf sich wirken zu lassen, anstatt sich mit Jungs über Fußball zu unterhalten, konnte man ihr doch wohl nicht vorwerfen!?
Lea hatte Lucy vor fast drei Jahren kennengelernt. Beide waren angeeckt, beide mussten nachsitzen. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Zwar schien es Lea, als ob Lucy ganz bewusst auf Provokation aus war, während sie bei sich selbst das Gefühl hatte, eher durch Zufall in den Ruch des Vorlautseins gekommen zu sein. Aber das Ergebnis war das gleiche, und sie verstanden sich auf Anhieb gut. Auch als Lea feststellen musste, dass sie Lucys neue Freunde aus Frankfurt nicht mochte, hatte das ihrer Freundschaft keinen Abbruch getan.
Und jetzt ausgerechnet Jungs? Was war denn dran an ihnen, dass die ganzen Weiber so einen Aufruhr darum machten, sogar ihre Freundschaften aufs Spiel setzten? Lucy wurde Ende Oktober sechzehn, und sie schien es als Statussymbol zu betrachten, bis dahin schon mit möglichst vielen Jungen angebandelt zu haben.
Lea war im Juni erst fünfzehn geworden. Konnte dieses Dreivierteljahr so entscheidend sein?
Grübelnd setzte sie sich auf ihren Platz und hörte sich den zweiten Teil von Grams' Einleitung an. Freie Themenwahl. Hauptarbeit zu Hause am PC, morgens in der Schule Besprechung von Problemen und gemeinsame Erarbeitung von Lösungswegen, Möglichkeit zum Schließen einzelner Wissenslücken. Samstag, neunzehn Uhr dreißig, Präsentation der Ergebnisse beim Bunten Abend. Alles, was auch schon in der Projektbeschreibung gestanden hatte.
Lea hatte ihre Entscheidung längst getroffen. Und die hieß „Wer wird Millionär?“! Die Regeln waren einfach: Ein Kandidat erhielt zu jeder Frage vier mögliche Antworten. Bis zu dreimal in einer fünfzehn Fragen umfassenden Runde konnte er sich auf verschiedene Art und Weise helfen lassen, den Rest musste er selbst meistern. Und bei der ersten falschen Antwort flog er raus.
Die Fragen wurden immer schwieriger, und Lea liebte es, vor dem Fernseher mitzuraten (und, wenn sie allein im Wohnzimmer war, den Kandidaten wie im Kasperletheater zuzurufen, was sie sagen oder tun sollten). Für den Bunten Abend wollte sie ein Quiz nach diesen Regeln programmieren. Das Frage-Antwort-Verhalten war dabei die leichteste Übung. Am meisten Arbeit würde das Grande Finale machen, die Abschlusspräsentation, das große bunte Feuerwerk, wenn jemand die fünfzehnte Frage richtig beantwortet
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