Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
startete das Programm, drückte die entsprechenden Tasten, und sofort zog sich eine gelbe Raketenspur in sanftem Bogen über das Hintergrundbild, das ein Quizstudio darstellte. Zur Musik dieser seltsamen Gruppe namens Linkin Park explodierte sie und ergoss einen bunten Pixelregen über den Monitor. Vater und Tochter sahen in ergriffenem Schweigen zu.
„Papa?“
„Ja?“
„Warum hast du mir solche Sachen eigentlich nicht schon viel früher mal erklärt?“
„Ich wusste ja nicht, dass es dich interessiert. Über die Sterne habe ich dir sehr viel erklärt, als das aktuell war, erinnerst du dich?“
„Das ist mindestens fünf Jahre her. Inzwischen hat sich einiges geändert, falls du das mitbekommen hast.“
„Na ja, ich weiß, dass du kein Kind mehr bist ...“
„Und was weißt du sonst noch von mir? Außer dass ich jetzt schwarze Haare habe?“
„Lea, ich gebe ja zu, dass ich in letzter Zeit wenig Zeit hatte ...“
„Wobei die 'letzte Zeit' schon ein paar Jahre dauert.“
„... aber das ist unter anderem ein Grund, warum ich heute Abend hier angeklopft habe. Willst du mir jetzt daraus einen Strick drehen?“
„Nein. Aber ich will auch nicht, dass du dich rausredest. Ich habe so oft davon geredet, dass ich einen eigenen Computer will. Das wollte hier überhaupt niemand wissen!“, platzte es aus ihr heraus. „Und an deinen durfte ich ja auch fast nie!“
„Ich habe gedacht ... mein Gott, ich wusste ja nicht, dass dir das so ernst ist. Außerdem hast du ja hier einen eigenen PC. Wo kommt der denn bitteschön her, wenn nicht von uns?“
Lea hatte sich so in Rage geredet, dass sie zu spät merkte, wie sie sich selbst ein Bein gestellt hatte. Ihr mageres Taschengeld hätte nie und nimmer für dieses Prunkstück gereicht – ihr Vater ging anscheinend davon aus, dass sie den Computer mit ihrer Mutter zusammen gekauft hatte. Angesichts seiner häufigen Abwesenheit wäre es schon möglich gewesen, dass eine solche Anschaffung ohne seine Mitsprache getätigt wurde. Aber wenn sie das jetzt behauptete, würde es sich früher oder später aufklären, und dann wäre die Hölle los. Sie brauchte einen Ausweg. Und sie brauchte ihn schnell.
„Den habe ich ... ich habe ihn mir geliehen.“
„Geliehen? Das ist doch ein ganz neuer. Wer verleiht denn so etwas?“
„Kannst du dir das nicht denken?“ In ihrem Kopf rotierte es fieberhaft. Sie hatte noch ungefähr fünf Sekunden, um mit einer plausiblen Antwort zu kommen.
„Nein. Mit dem neuen Windows, auch noch Professional ... das muss doch mindestens ein Core i5 sein, eher neuer. Der ist wahrscheinlich schneller als der, den ich oben habe, oder?“
„Er ist von ... von ...“ Verdammter Mist, es ging einfach nicht anders! „Er ist von Bülent. Du kennst ihn doch, er hat alles. Sein Vater schwimmt im Geld. Für den ist das einfach ein Zweit-PC. Oder Dritt.“
„Bülent, ja, ich erinnere mich.“
Super, wie du dich erinnerst, dachte Lea. Dass ich Bülent auf den Tod nicht ausstehen kann, hatte ich dir auch erzählt. Aber macht ja nichts.
„Von Bülent“, wiederholte sie.
Als ihr Vater das Zimmer verließ, wusste keiner von beiden so recht, was er sagen sollte. Hans hatte das Gefühl, dass seine Bemühungen, sich seiner Tochter wieder anzunähern, nur mäßig erfolgreich waren. Ihr hingegen wurde zum ersten Mal schmerzlich bewusst, dass der Moment, in dem sie ihn mit ihren Programmen verblüffen würde, vielleicht noch gar nicht das Happy-End war, das sie sich ersehnte, sondern erst der Anfang eines langen Weges.
Aber immerhin ein Anfang, dachte sie trotzig und fügte laut hinzu: „Du kommst doch ganz bestimmt zu dem Bunten Abend?“
„Ganz bestimmt“, erwiderte ihr Vater und lächelte freundlich, während er noch die Tür schloss.
Aus seinem Büro hörte er das gedämpfte Klingeln seines Geschäftstelefons. Er streifte in einer automatisierten Bewegung den linken Ärmel zurück, um auf die Uhr zu sehen. Mitternacht. Das konnte nur eines bedeuten: Prag. Der Große Auftrag.
Mit einem gedämpften Triumphschrei hastete er in sein Arbeitszimmer und nahm den Hörer ab.
„Firma LeoSoft, guten Tag. Ja ... ja ... aber ja, das freut mich zu hören. Natürlich können wir uns bald treffen. Nein, selbstverständlich bin ich da flexibel.“ Während er der Stimme am anderen Ende der Leitung zuhörte, malten seine Finger zahllose Eurozeichen unsichtbar auf den Schreibtisch. Geschafft, dachte er, geschafft, alles wird gut, besser als gut,
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