Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
mit kaum vorhandenem Bartwuchs, hatte den Auftrag, das Auto in die Tiefgarage eines bestimmten Hotels zu fahren. Es hieß irgendetwas mit „Deutsch“ im Namen, zum Glück hatte er es aufgeschrieben, sein Gedächtnis war nicht das beste. Jedenfalls lag es in Deutschland, das passte wenigstens, in einem Kaff namens Eschersbach oder Eschenbach. In der Nähe von Frankfurt.
Und er sollte bis zum Sonnenuntergang dort eintreffen. Aber mit einem Mercedes Klasse S und – ab der Grenze – ohne Tempolimit war das überhaupt kein Problem.
Im Chemieunterricht sprach Herr Grams über das Verhältnis zwischen H-plus-Ion und Säurerest-Ion, die praktische Anwendung der Ionentheorie und die Gefahren im Umgang mit Säuren, insbesondere der Perchlorsäure, einer der stärksten und aggressivsten, die es gab. Gerade als es klingelte, erreichte der Mercedes über die Europastraße 50 die Stadt Pilsen.
Nach der großen Pause begann die Englischstunde. Sie sprachen über Oscar Wilde, und die Lehrerin zitierte einige Gedichte, aber irgendjemand hatte schon gehört, dass Wilde wegen seiner Homosexualität verurteilt worden war, und dieses Thema schien die Klasse ungleich mehr zu interessieren als seine Schriften. Schließlich fand man sich in einem heftigen Streitgespräch über die Menschenrechte als solche. Lea registrierte vage, dass sie dieses Gebiet eigentlich brennend interessieren müsste, aber sie konnte sich einfach nicht dazu bringen, die Wortmeldungen konzentriert anzuhören. Stattdessen meldete sich schließlich Lucy und hielt, von der Klasse belächelt, ein flammendes Plädoyer für die Gleichwertigkeit der Menschen- und Tierrechte.
Der Wagen mit der großen Aluminiumkiste im Kofferraum fuhr derweil über die Landesgrenze, wo einstmals rigide Kontrollen stattgefunden hatten. Der junge Fahrer freute sich über Tschechiens EU-Beitritt und trat, kaum dass er deutschen Boden unter den Rädern hatte, das Gaspedal durch.
Kurz nach Beginn der Deutschstunde, als Hußmann eben zu einer öden Suada über den Brand der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek ansetzte, reichte Lucy Lea ein zusammengefaltetes Zettelchen. Sie öffnete es und las, dass Timm Winckelmann mit ihr ausgehen wollte. Geistesabwesend steckte sie es ein und kritzelte eine deutliche, aber – wie sie hoffte – nicht zu unfreundliche Antwort auf ihr Löschblatt, die sie abriss und Lucy in die Hand drückte. Sie hatte jetzt keine Zeit für so was.
Der Mann in dem dunklen Mercedes stand jetzt auf der A6 und fluchte. Ein mit Fischmehl beladener LKW war gegen die Leitplanke gerast und anschließend umgekippt, und der übelriechende Inhalt verteilte sich großflächig auf der Fahrbahn. Der Stau war über zehn Kilometer lang. Dabei sollte er längst auf der Höhe Würzburgs sein! Er spuckte aus dem Fenster und schlug mit der Faust gegen das Lenkrad. Verdammt, er hatte jetzt keine Zeit für so was!
In Sport hatte sich Lea immer ganz wohl gefühlt. Heute war Basketball an der Reihe, und da sie eher zu den Größeren in ihrer Klasse zählte, war es eigentlich genau ihre Sportart. Aber auch hier blieb sie seltsam abwesend, und nachdem sie versehentlich eine Mitspielerin gefoult hatte, verbrachte sie den Rest der Doppelstunde auf der Ersatzbank.
„... Stau auch auf der A3 zwischen Würzburg West und Würzburg-Kist wegen einer Baustelle. Das Wetter in Hessen ...“ Erbost drehte der Mann das Radio ab. Sollte das ewig so weitergehen? Er blickte auf die endlose Blechschlange vor sich. Mist!
Lea saß stumm und lustlos beim Mittagessen. Erst nach der Mahlzeit kehrten ihre Lebensgeister zurück. Sie verabschiedete sich flüchtig von ihrer Mutter und rannte aus dem Haus, genau in dem Augenblick, als der Wagen den Stau hinter sich gelassen hatte und die A3 verließ.
Lea warf ihren schwarzen Rucksack mit der großen Schnalle energisch auf Bülents Bett. „Da bin ich. Können wir jetzt endlich weitermachen?“
Bülent saß bereits am Rechner. „Gipps du mir konkrräte Bilda, geppisch dir konkrräte Info“, radebrechte er gut gelaunt.
„Wollten wir nicht erst die Aufnahmen zu Ende anhören?“
„Ich war so frei, das schon mal in Angriff zu nehmen. Deine Eltern sind nett, aber über die Sache haben sie kein Wort mehr verloren.“
„Das gefällt mir nicht. Ich würde die Bänder gern selbst anhören.“
„Es sind keine Bänder. Es ist eine digitale Aufnahme auf einem Speicherchip.“
„Hatten wir nicht Klugscheißverbot vereinbart?“
„Nur für dich, Baby. Gib
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