Das Ritual der Gleißenden Dämonen (German Edition)
nicht. Stattdessen schritt er langsam auf sie zu, bis er direkt vor ihr stand. Das Messer in der rechten Hand, berührte er mit der Linken ihre Wange.
„Ich werde---“
„Was geht hier vor?“
Lea spürte an seiner kalten Hand, wie Jörg zusammenzuckte. Gleichzeitig überflutete sie ein Gefühl ungläubigen Erstaunens.
Sie kannte diese Stimme.
Und dies war der letzte Ort, an dem sie damit gerechnet hätte, sie zu hören.
36. Kapitel
Das Museum war der Schlüssel. So musste es einfach sein. Es musste schlichtweg deshalb so sein, weil es seine letzte Chance war.
Palazuelo war in das Museum eingebrochen. Warum? Um zu recherchieren. Herauszufinden, ob er, Hans, fähig war, eine Alarmanlage zu bauen, die den unmenschlichen Ansprüchen Palazuelos und seiner Meisterin genügen konnte. Das hieß, der Spanier musste diese Unmenschlichkeit mit all ihren seltsamen Fähigkeiten voll und ganz in die Waagschale werfen, um das System auf Herz und Nieren zu testen.
Wenn Hans jemals etwas über diese Wesen herausfinden wollte, zu denen er nun selbst gehörte, dann musste er seine Nachforschungen an diesem Ort beginnen!
Die Anlage war nach dem Einbruch komplett neu installiert worden, aber neben dem neuen Ziffernblock ruhte unter einer dünnen Betondecke immer noch die alte, beschädigte Hardware.
Unschlüssig stand er nun vor der Museumswand. Durch die fehlende Körperwärme hatte er sich, wie der Spanier vor ihm, erfolgreich an den Infrarot-Sensoren vorbei gemogelt. Die Lichtschranken hatte er übersprungen, vier Meter, kein Problem. Diese Mysterien zumindest waren also geklärt. Und der drei Meter hohe Zaun hatte für ihn, der nie besonders sportlich gewesen war, kein Hindernis mehr dargestellt.
Welche seltsamen Kräfte waren es nun, die Palazuelo befähigt hatten, diese – bei aller Bescheidenheit – einfallsreiche und krisensichere Sicherheits-Software beinahe auszutricksen?
Er hob die Faust, um die Betondecke über den defekten Einheiten zu zerschlagen und die Überreste von Palazuelos Einbruch einer grundlegenden Analyse zu unterziehen.
Dann ließ er seinen Arm wieder sinken. Er hörte Stimmen. Sie kamen von der Baustelle, dort, wo ein Einkaufszentrum entstehen sollte, etwa vierhundert Meter von seinem Standort entfernt. Er konnte die Worte nicht verstehen, aber der Tonfall verhieß nichts Gutes. Und er spürte etwas. Gefahr, Gewalt, Bedrohung.
Im Schutz der Dunkelheit und mit einer Geräuschlosigkeit, die ihn selbst erstaunte, eilte er zum Ort des Geschehens und sah drei großgewachsene Jungen, die eine vierte Person umringten. Von dieser vierten Person sah er nicht viel, aber es schien ihr nicht besonders gut zu gehen. Etwas weiter entfernt standen noch zwei weitere junge Männer, Anfang zwanzig vielleicht, und schienen irgendetwas an einem Betonmischer zu manipulieren.
„Was geht hier vor?“ , fragte er barsch. Er erinnerte sich noch allzu gut, wie seine zornige Stimme damals auf Lea gewirkt hatte, noch bevor er (sprich es doch aus, verdammt!) ein Vampir geworden war, und er hoffte, dass er etwas von dieser Fähigkeit zum Beeindrucken auch jetzt in seine Stimme legen konnte.
Es schien zu funktionieren. Die fünf Halbstarken drehten sich zeitgleich zu ihm um, als sei er ein Dirigent, der gerade mit dem Taktstock aufs Pult geklopft hatte, und sie seine gehorsamen Orchestermusiker.
Das gab die Sicht auf die letzte, bisher verborgene Person frei.
Er sah das Messer in der Hand des Jungen mit dem Irokesenschnitt, sah das Blut auf ihren Jeans, und trotz der unbändigen Wut, die in ihm hochkochte, registrierte er die bewundernswerte Klarheit und Schnelligkeit, mit der sich seine Gedanken formten und ihn erkennen ließen, was hier geschah.
Seit er gesprochen hatte, war noch keine Sekunde vergangen. Er sah wie in Zeitlupe, wie die Klinge zu Boden fiel. Der Junge stand offensichtlich am Rande der Panik. Er hatte nicht im Mindesten damit gerechnet, gestört zu werden.
Die Wut ließ sich schwer kontrollieren, aber es gelang ihm. Er wusste, dass er schneller denken konnte als sie, sich schneller bewegte; er konnte nicht erwarten, dass sie innerhalb von einer Sekunde das Weite suchten. Menschen brauchten Reaktionszeit.
Hatte er da zum ersten Mal von den Menschen in der dritten Person gedacht?
Egal. Darauf kam es jetzt nicht an. Er würde ihnen vier Sekunden geben. Nicht mehr.
Es ging um seine Tochter.
„Hau ab, Alter“, schrie der Junge mit bemühter Souveränität. „Das ist nicht dein Bier!“
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